Dämonisches Tattoo
erwidert – zumindest bis zu dem Augenblick, in dem er versehentlich ihre Wange berührt hatte. Erst da war ihm bewusst geworden, dass er im Begriff war, ihre Angst und ihren Wunsch nach Trost auszunutzen. Ganz gleich, wie sehr er sich danach sehnte, mit ihr zu schlafen, es wäre nicht richtig gewesen. Wäre sie gestern nicht so durch den Wind gewesen, hätte sie sich nicht einmal von ihm küssen lassen. Allein deshalb hatte er sie nicht weiter bedrängt. Er wollte nicht, dass sie etwas tat, was sie hinterher bereute.
Er drehte sich auf den Rücken, lauschte dem Rauschen der Dusche und starrte an die Decke, an der sich noch einmal der Film von letzter Nacht abspielte. Der Killer hatte Kate angegriffen. Es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, sie umzubringen. Dass er es nicht getan hatte, schien Teil seines Spiels zu sein. Trotzdem war es nur eine Frage der Zeit, bis er ihr etwas antun würde, und ganz gleich, was es auch war, es würde qualvoll und schmerzhaft sein. Kate selbst interessierte den Mann dabei nicht, sie war nur ein Mittel zum Zweck – er wollte Chase treffen.
Himmel, der Kerl hatte ihn sogar kontrolliert! Gestern Nacht hatte er noch gedacht, es sei der Geist des Jägers gewesen, der ihn in eine bestimmte Richtung gedrängt hatte. Die Verbindung war jedoch bisher immer mit einer Veränderung des Tattoos vonstattengegangen – im Haus war davon nichts zu spüren gewesen. Abgesehen davon war ihm der Blick durch die Augen des Killers verwehrt geblieben, der ihm sonst gezeigt hatte, wo sich der Mann aufhielt. Als er letzte Nacht aus dem Haus gelaufen war, war er einem inneren Zwang gefolgt. Einem Zwang, der ihm die Richtung vorgegeben und ihm nicht die Möglichkeit zur freien Wahl gelassen hatte.
War das die Überraschung, von der er zuvor gesprochen hatte?
Es war nur Spekulation, doch Chase wurde den Eindruck nicht los, dass das Gefühl, ferngesteuert zu werden, etwas mit William Quinns Verschwinden zu tun hatte. Womöglich hatte der Killer den Stammesältesten benutzt, um seinen Einfluss auf die Verbindung zu erweitern. Anders konnte er sich nicht erklären, was geschehen war.
Der Killer hatte Chase beeinflusst, ihm seinen Willen aufgezwungen. Das war beängstigend. Er versuchte sich einzureden, dass er sich der Kontrolle entzogen hatte und zum Haus zurückgekehrt war, ein Zweifel blieb jedoch – was, wenn ihm das lediglich gelungen war, weil der Kerl seine Kontrolle über ihn hatte aufgeben müssen, um Kate anzugreifen?
Im Badezimmer wurde die Dusche abgestellt und die Tür der Duschkabine geöffnet. Kate summte leise vor sich hin und hantierte mit irgendwelchem Kram. Es schien ihr besser zu gehen, ihre Stimme hatte klarer geklungen und ihr Gang war sicher gewesen. Selbst die Schwellung schien zurückgegangen zu sein. Dank ihrer überstürzten Flucht war ihm jedoch keine Gelegenheit geblieben, sie zu fragen, wie es ihr tatsächlich ging. Zumindest schien sie wieder sie selbst zu sein. Mit einem »Ach du Scheiße« war er morgens noch nie begrüßt worden. Das Lächeln, das bei der Erinnerung an ihr erschrockenes Gesicht in ihm aufstieg, schwand so schnell, wie es gekommen war.
Er durfte sie nicht länger in Gefahr bringen und vor allem musste er aufhören, darauf zu warten, dass der Killer ihm Hinweise gab, denen er nachjagen konnte. Es war an der Zeit, dass er selbst die Initiative ergriff.
Und er wusste auch schon wie.
Nachdem feststand, dass er seine Taktik ändern musste, ging er in die Küche. Auf dem Tresen lag das Handy. Er schaltete es ein und wählte Munarez’ Nummer.
Nach dem dritten Klingeln ging sie ran. »Munarez, Mordkommission.«
»Anita, hier ist Chase Ryan.«
»Carajo!«,
bellte sie ins Telefon. »Wo stecken Sie, Sie verdammter Penner?«
»In Schwierigkeiten, würde ich sagen«, erwiderte Chase trocken. »Ich muss mit Ihnen sprechen, Anita.«
»Dann schwingen Sie Ihren Arsch aufs Revier.«
»Unter vier Augen.«
»Hier gibt es ein paar wunderbare Zimmer, in denen wir uns ungestört unterhalten können.«
»Ich würde Ihr Verhörzimmer nicht lebend verlassen.«
Munarez schickte eine ganze Tirade an Flüchen durch die Leitung. »Reden Sie keinen Quatsch«, war das Erste, was er verstand. »Niemand wird Ihnen in einem Haus voller Cops etwas antun.«
»Außer einem Cop«, fügte er hinzu. »Oder jemandem, der sehr nah dran ist. Ich werde Ihnen alles erklären, nur Ihnen und nicht auf dem Revier.« Als sie nicht sofort antwortete, sagte er: »Lassen Sie mich nicht
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