Dämonisches Tattoo
seinen berührt hatte, und in ihrer Körpermitte hatte sich ein heißes Ziehen ausgebreitet, das nach mehr als einem Kuss verlangte. Trotzdem war sie froh um den Schmerz, der sie davon abgehalten hatte, einen gewaltigen Fehler zu begehen.
»Eigentlich ist es nicht meine Art, die Hilflosigkeit einer Frau auszunutzen. Komm, ich bringe dich ins Bett.« Er nahm sie am Arm und führte sie ins Schlafzimmer zurück. »Leg dich hin, ich bin gleich wieder da.«
Als er das Zimmer verließ, fühlte es sich an, als habe er all ihre Kraft mit sich genommen und nichts weiter als ein schwarzes Loch hinterlassen, dort, wo für gewöhnlich ihr Mut und ihre Entschlossenheit lagen. Kaum war er fort, drängten die Ereignisse des Abends, die sie tief in sich verschlossen zu halten versuchte, in ihrer Erinnerung nach oben und drohten sie mit sich zu reißen.
Statt unter die Bettdecke zu kriechen und sich dort zusammenzurollen und zu warten, bis all die schrecklichen Gedanken und Bilder verschwanden, die an der von ihr gezogenen Mauer kratzten, setzte sie sich auf die Bettkante und starrte auf den Teppich. Sie wollte sich hinlegen, doch sie konnte sich nicht bewegen. Die Mauer, die sie so krampfhaft aufrecht zu halten versuchte, begann zu bröckeln, offenbarte immer mehr Erinnerungen und stürzte schließlich ein.
Das Zittern begann in ihren Händen und breitete sich weiter über ihren Körper aus. Sie schlang sich die Arme um den Leib in dem verzweifelten Versuch, nicht auseinanderzubrechen, doch es war nicht das Zittern, das sie in Stücke riss, sondern die Bilder, die sie verfolgten. Das verschwollene und geschundene Gesicht dieser Frau, das Entsetzen in ihren Augen, die Naht auf ihren Lippen, aufgeplatzt und blutig von den Versuchen, um Hilfe zu schreien. Welche Ängste musste sie ausgestanden haben?
»Kate?« Chase war zurückgekehrt, ohne dass sie ihn gehört hatte. Er stellte eine Flasche Wasser und das Röhrchen mit dem Paracetamol auf den Nachttisch. »Am besten nimmst du gleich noch einmal zwei Tabletten, bevor du dich hinlegst.«
Seine Fürsorge tat so gut, gleichzeitig zerrte sie an dem letzten bisschen Selbstbeherrschung, das ihr noch geblieben war. Sein Gesicht verschwand hinter dem Tränenschleier, der sich über ihre Augen legte. Sie schluckte und kämpfte gegen das heiße Brennen in ihren Augen und ihrer Kehle an. »Wir waren ihm so nah«, flüsterte sie. »Ich konnte ihn beinahe spüren.« Himmelarsch, sie
hatte
ihn gespürt – zumindest das Glas, das er ihr an den Schädel geknallt hatte. Alles war so schnell gegangen, dass sie nicht einmal einen Blick auf ihn erhascht hatte. Sie war dem Killer begegnet und konnte ihn trotzdem nicht beschreiben. Nicht einmal ansatzweise. »So nah. Diesem Monster.«
Die Matratze gab nach, als Chase sich neben sie setzte und sie in seine Arme zog. Kate ließ es geschehen. Sie lehnte sich an ihn und schloss die Augen.
»Wir haben heute ein Leben gerettet«, sagte er.
Kate nickte, ohne aufzusehen. »Ja, das haben wir. Ich wünschte nur, er wäre uns nicht entwischt.«
»Ich auch.« Er legte sein Kinn auf ihren Kopf und strich ihr über den Rücken. »Noch wichtiger ist mir allerdings, dass dir nichts passiert ist.«
Gestern war eine Frau gestorben, das war schrecklich, doch im Gegensatz zu der Frau heute Abend hatte sie Jane Mercer nicht gesehen. Ihre Qualen, ihr Leid und ihr Entsetzen waren vor ihren Augen verborgen geblieben.
»Ich kann dieses Gesicht nicht vergessen.« Es gelang ihr nicht länger, die Tränen zurückzuhalten. Sie ließ ihnen freien Lauf, ließ das Schluchzen heraus, das in ihrer Kehle steckte, seit sie die Frau zum ersten Mal erblickt hatte, gefesselt – so wie sie ihren Gefühlen während der letzten Stunden Fesseln angelegt und nur noch funktioniert hatte. »Ich habe mich geirrt«, schluchzte sie. »Das hier ist keine Achterbahn. Es ist die Geisterbahn – nur dass die Monster echt sind.«
Chase sagte nichts. Er war einfach nur da und hielt sie fest. Allmählich versiegten ihre Tränen. Seine Wärme kroch durch den Stoff ihres Shirts unter ihre Haut, langsam ließ das Zittern nach. Alles in ihr fühlte sich schwer und träge an. Schließlich fielen ihr die Augen zu.
*
Als Kate erwachte, war ihr warm. Es war eine angenehme Wärme, die ihr durch und durch ging und den pulsierenden Schmerz in ihrer linken Gesichtshälfte dämpfte. Sie wollte die Augen noch nicht öffnen, aus Furcht davor, schneller von der Wirklichkeit eingeholt zu werden, als ihr lieb
Weitere Kostenlose Bücher