Dämonisches Tattoo
nicht so verkehrt gelegen. Er war jedoch bereit gewesen, seine Fähigkeiten und sein Können in den Dienst der Polizei zu stellen. Dass er jetzt auf der Gegenseite spielte und ihnen aufzeigte, wie unzulänglich sie in vielen Bereichen waren, war ganz sicher nicht seine Schuld. Hätten sie sein Potenzial nicht verkannt, wäre er jetzt nicht gezwungen ihnen aufzuzeigen, worauf sie verzichtet hatten.
Er streifte seine Latex-Handschuhe über und vergewisserte sich mit einem letzten Blick in die Umgebung, dass niemand auf ihn aufmerksam geworden war, ehe er zum Wohnzimmerfenster huschte und hineinspähte. Bingo! Jane hatte es sich in ihrem Sessel gemütlich gemacht, eine Schüssel mit Chips auf dem Schoß, und schaute Jay Leno. Zufrieden schlich er weiter zur Rückseite des Hauses. Der verwilderte Garten war von einem mannshohen Holzzaun umgeben, der ihn ebenso vor neugierigen Blicken schützte wie die unzähligen Büsche und Sträucher, die überall aus dem Rasen schossen. Selbst wenn irgendwo jemand aus dem Fenster sah, wäre er nicht von den Schatten der Büsche zu unterscheiden, die sich in einer sanften Brise wiegten.
Es war einfach perfekt.
Er würde durch das Fenster im Gästezimmer einsteigen und sich dort verstecken. Sobald Jane schlief, konnte er sich ans Werk machen. Der Gedanke, bei der Ausführung von seinem gewohnten Muster abzuweichen – nicht viel, gerade genug, um der Polizei ordentlich zu denken zu geben –, schoss ihm durch den Kopf, er verwarf ihn jedoch rasch wieder. Vielleicht beim nächsten Mal. Für heute hatte er die gewohnten Pfade bereits weit genug verlassen, um die Ermittler vor ein Rätsel zu stellen. Noch mehr zu verändern, wäre Verschwendung.
Er öffnete seine Tasche, als ihn ein heftiges Stechen hinter den Schläfen zusammenfahren ließ. Er presste die Hände gegen den Kopf und atmete tief durch. Nach einigen Herzschlägen war der Schmerz verflogen und er atmete auf. Einen Migräneanfall konnte er jetzt wirklich nicht gebrauchen.
Erleichtert zog er das Brecheisen aus der Tasche und setzte es zwischen Fenster und Rahmen an. Das morsche Holz knirschte und für einen Moment befürchtete er, dass es entzweibrechen würde, ehe er das Fenster öffnen konnte. Er setzte an einer anderen, weniger maroden Stelle an, als ein gleißender Blitz vor seinen Augen aufleuchtete und ihm die Sicht raubte. Unwillkürlich duckte er sich in den Schatten eines Busches, von dem er wusste, dass er da war, den er jedoch nicht sehen konnte. Blinzelnd kämpfte er gegen die flammende Röte an, die sich in seinem Sichtfeld ausgebreitet hatte. Die Stimmen mehrerer Männer, die vorher nicht da gewesen waren, drangen an sein Ohr. Jane hatte keinen Besuch gehabt! Das hätte er gewusst!
Aber woher kamen die Stimmen?
Noch immer geduckt rieb er sich die Augen. Langsam klärte sich seine Sicht, doch was er sah, ließ ihn zurückzucken. Das war nicht mehr Jane Mercers Garten! Eine Abfolge schneller Bilder fuhr wie ein Gewitter durch seinen Geist. Er saß auf einem Stuhl. Die Luft erfüllt von einem Singsang, dessen Monotonie an seinen Nerven zerrte. Was ging hier vor? Er wollte aufstehen und verschwinden, doch er konnte sich nicht bewegen. Fesseln hielten ihn an Ort und Stelle gefangen. In einer Mischung aus Zorn und Schmerz starrte er auf die schemenhaften Umrisse eines Mannes, die ihm mit jedem Blinzeln ein wenig vertrauter schienen, ohne dass sie wirklich fassbar wurden. Eine heftige Schmerzwelle schoss durch seinen Nacken und ließ ihn aufstöhnen. Er schnappte nach Luft und plötzlich erkannte er Cassell, der mit einer Pistole im Anschlag vor ihm stand.
»Verdammt, was soll das?«, wollte er brüllen, doch kein Laut kam über seine Lippen.
Der Singsang verstummte. Ein Indianer tauchte in seinem Blickfeld auf. »Beeilen Sie sich!«, rief er Cassell zu. »Der Geist des Jägers sucht nach seinem Ziel.«
Cassell eilte zum Fenster, um es aufzureißen.
»Heilige Scheiße!« Das Flüstern kam aus seinem Mund. Zumindest dachte er, dass er es war, der gefesselt auf diesem Stuhl saß. Doch die Stimme war nicht seine – sie gehörte Special Agent Chase Ryan.
Die Erkenntnis und der Schmerz, der schlagartig zurückkehrte und seinen Schädel in Stücke zu reißen drohte, ließ ihn zurückfahren. Etwas riss an ihm, zwang ihn in die Knie. Um ihn herum wurde es dunkel.
Als er die Augen wieder öffnete, lag er auf dem Rasen. Das vom Regen feuchte Gras kühlte seine Wange und dämpfte das Echo des Schmerzes, den er noch
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