Dämonisches Tattoo
draußen.
4
Brentwood, Maryland – nahe Washington D. C.
Die Sporttasche mit seinem Werkzeug in der Hand näherte er sich dem Eckgrundstück, auf dem der kleine Bungalow stand. Das Haus sah alt und renovierungsbedürftig aus, doch Jane Mercer, die Frau, die hier wohnte, verdiente bei Wal-Mart vermutlich gerade genug, um die Miete zu bezahlen. Vielleicht war es ihr auch einfach gleichgültig, wie das Haus von außen aussah. Nach heute Nacht würde das alles ohnehin keine Rolle mehr spielen.
Ein rascher Blick genügte ihm, um sich zu vergewissern, dass ihn niemand bemerkt hatte. Er ließ das rostige Gartentor links liegen, stieg stattdessen über den kniehohen Zaun und folgte dem verwilderten Kiesweg zum Haus mit einer Selbstverständlichkeit, als gehöre er hierher. Der Bungalow kauerte in der Dunkelheit, als wolle er sich auf ihn stürzen und ihn zerreißen, bevor er tun konnte, weshalb er gekommen war. Er hielt inne und nahm sich einen Moment Zeit, den Bau zu betrachten. Dunkle Fenster starrten ihm wie leere Augenhöhlen entgegen, flankiert vom bodenlosen Schlund der in den Schatten eines kleinen Vordaches verborgenen Tür. »Du bist nur ein Haus«, zischte er dem zusammengezimmerten Haufen aus Holz und Glas herauszufordernd entgegen. »Das Raubtier hier ist jemand anderes.«
Bevor er die Tür erreichte, schwenkte er nach links und huschte geduckt unter den Fenstern vorbei zur Hausecke, wo er im Schatten eines Buchsbaums innehielt, um einen erneuten Blick in die Umgebung zu werfen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit hatte leichter Regen eingesetzt, der die Nachbarn früh in ihre Häuser getrieben hatte. Abgesehen vom entfernten Bellen eines Hundes und dem dumpfen Dröhnen des Fernsehers, das aus dem Wohnzimmer um die Ecke drang, war alles ruhig.
Es war nicht das erste Mal, dass er nachts hierherkam. Er kannte Jane Mercers Gewohnheiten mittlerweile gut genug, um darauf zu wetten, dass sie im Wohnzimmer auf der Couch saß, die Beine auf dem Glastisch ausgestreckt, und sich die
Tonight Show
mit Jay Leno ansah.
Es würde die Cops und das FBI die Wände hochtreiben, wenn er entgegen seiner Gewohnheit in zwei aufeinanderfolgenden Nächten zuschlug, obwohl die Profiler ihn längst als Perfektionisten eingestuft hatten, der sich jedes Mal viel Zeit für seine Vorbereitungen und Beobachtungen nahm.
Daran werdet ihr ordentlich zu knabbern haben,
dachte er grinsend. Sie konnten ja nicht wissen, dass er die letzten drei Monate damit verbracht hatte, abwechselnd mehrere Häuser zu beobachten. Den Millers in Edmonston hatte er zuerst seine Aufwartung gemacht – heute war Jane Mercers Nacht. Ihre Gewohnheiten herauszufinden war weniger aufwendig gewesen als bei den Millers. Sie wohnte allein, hatte keinen Freund und keine Kinder. Jeden Donnerstag ging sie mit ein paar Freundinnen in ein Kino an der Mainstreet, samstags war ihr Bowlingabend und ihren freien Tag verbrachte sie für gewöhnlich in einem der umliegenden Shoppingcenter. Die Kollegin, mit der sie jeden Morgen zur Arbeit fuhr, würde sie morgen früh finden – gerade rechtzeitig, um die Nachricht des weiteren Mordes noch ins Frühstücksfernsehen zu bringen.
Er war wirklich gespannt, wie Agent Ryan sein geändertes Vorgehen bewerten würde. Der Mann war keineswegs zu unterschätzen, die Beurteilung des Agenten kam seinem tatsächlichen Wesen in vielerlei Hinsicht erstaunlich nahe.
Sein Anruf bei Ryan hatte lediglich den Zweck gehabt, ein wenig Unruhe zu stiften, während die Ermittler am Tatort eingespannt waren. Agent Ryans Zurückhaltung hatte ihn beeindruckt. Im Gegensatz zu Cassell hatte er nicht versucht ihn zu provozieren. Diesen Fehler würde Ryan nicht machen, dazu war er zu clever. Stattdessen wollte der Agent ihn in ein Gespräch verwickeln. Natürlich war ihm das Kritzeln des Stiftes nicht entgangen. Es war nicht schwer gewesen, sich auszumalen, dass Ryan versuchen würde den Anruf zurückzuverfolgen. Das konnte er ihm kaum zum Vorwurf machen. An seiner Stelle hätte er nichts anderes getan.
Von der Polizei und den Behörden gejagt zu werden war nie sein Ziel gewesen. Er hatte nie gewollt, dass es so weit kam. Doch sie hatten ihm deutlich gemacht, dass sie ihn nicht haben wollten. Keine ausreichende körperliche Fitness und möglicherweise psychisch instabil, hatte das Urteil gelautet, das man ihm am Ende der Aufnahmeprüfungen für die Polizeiakademie verkündet hatte. Rückblickend hatten die Mitglieder des Aufnahmegremiums damit womöglich gar
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