Dämonisches Tattoo
ihn heute Morgen im Badezimmer überfallen hatten, trotzdem geschah nichts. Als er die Augen öffnete, hatte sich nichts verändert. Über ihm lag noch immer dieselbe weiß gestrichene Decke, seine Hände ruhten auf dem samtigen Stoff der Armlehnen und seine Füße versanken im Teppich.
Vielleicht würde es helfen, wenn die Umstände ähnlich waren. Es war ein anderes Haus mit einem anderen Badezimmer, aber womöglich reichte eine ähnliche Umgebung aus. Er stand auf und ging ins Bad. Im Vergleich zu der winzigen Nasszelle im Motel hatte er es hier mit einer Luxusausführung zu tun. Beim Blick auf die Ablage über dem Waschbecken musste er grinsen. Kate hatte wirklich an alles gedacht, sogar Rasierzeug und ein Aftershave hatte sie ihm besorgt. Wenn er sich so im Spiegel betrachtete, hatte er eine Rasur auch dringend nötig.
Später.
Er stützte die Hände auf den Waschbeckenrand und starrte auf sein Spiegelbild, bis es verschwamm, während er sich vorstellte, dass sich die Umgebung um ihn herum veränderte.
»Komm schon!«
Als sich nichts tat, schloss er die Augen und rief sich die blauen Fliesen und den zertrümmerten Spiegel ins Gedächtnis. Er konnte sich an jedes Detail erinnern, die Maserung der Fliesen, die Form der Spiegelscherben, doch als er die Augen öffnete, stand er noch immer im hellgrau gefliesten Badezimmer von Kates Freundin. Was, wenn er es nicht beeinflussen konnte? Wenn die Visionen kamen und gingen, wie es ihnen gefiel, ohne dass er die Kontrolle darüber hatte?
»Was wäre das für ein blödsinniges Ritual, das man nicht einmal beherrschen kann?« Er hob den Arm und drückte auf das Pflaster in seinem Nacken, in der Hoffnung etwas auszulösen, wenn er das Tattoo berührte, doch das Einzige, was er damit auslöste, war Schmerz. Fluchend verstärkte er den Druck. Ohne Ergebnis. Vielleicht half direkter Hautkontakt. Er riss das Pflaster herunter und presste die Fingerspitzen auf die frische Wunde. Durch den fehlenden Schutz des Pflasters wuchs lediglich der Schmerz, sonst veränderte sich nichts. Trotzdem versuchte er es weiter, setzte sich auf den Wannenrand, den Boden und den Klodeckel, konzentrierte sich, ahmte sogar einmal den Singsang nach, den der Indianer während des Rituals von sich gegeben hatte.
Es half alles nichts.
Schließlich gab er auf. Die erste – und gleichzeitig einzige – Vision hatte er heute Morgen gehabt, vielleicht funktionierte es nur einmal am Tag oder nur zu einer bestimmten Tageszeit. Womöglich musste er auch einfach ausgeruht sein.
Auf einer der Ablagen fand er die Pflasterpackung und schnitt sich eines zurecht. Ein Blick in den Spiegel genügte, um zu erkennen, dass das Tattoo, oder besser gesagt das geschundene Fleisch darunter, rot glühte. Die Haut fühlte sich heiß und entzündet an. Zum Glück hatte ihm Kate die Antibiotika besorgt. So wie es aussah, waren sie dringend nötig. Ein wenig umständlich klebte er das Pflaster fest und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
Obwohl er enttäuscht und auch ein wenig wütend auf sich selbst war, dass es nicht funktioniert hatte, schob er alle negativen Gefühle beiseite. Kate hatte so viel für ihn getan, dass er sie seinen Frust nicht spüren lassen wollte, zumindest nicht, solange er sich nicht so weit aufgestaut hatte, dass er es nicht mehr verbergen konnte. Abgesehen davon hoffte er darauf, dass ihm eine gewisse Ausgeglichenheit helfen würde in die Sicht des Mörders zurückzufinden.
Kate saß immer noch an ihrem Laptop. Als er ins Zimmer kam, sah sie auf. »Sie sehen nicht aus, als hätten Sie Glück gehabt.«
So viel zu dem Versuch, die negativen Gefühle zur Seite zu schieben. »Nein, wohl eher nicht«, brummte er. »Ich denke, dass es sinnlos ist, es heute noch einmal zu versuchen.«
»Dann also morgen wieder.«
Er nickte. »Was schreiben Sie? Ihren Artikel?«
»Ich halte fest, was bisher passiert ist, damit ich später nichts vergesse.« Sie klappte den Deckel des Laptops zu. »Was ist, haben Sie Hunger?«
»Worauf Sie wetten können.«
»Dann lassen Sie uns etwas zu essen machen.«
Er folgte ihr hinter die Küchenzeile, spähte in den Vorratsschrank und den Kühlschrank und war überrascht, dass sie nicht nur Fertigfraß, sondern auch einige frische Sachen besorgt hatte. Sie einigten sich auf Indisches Curry, und während Chase das Huhn schnitt und briet, kümmerte sich Kate um den Reis und die Soße. Eine knappe Stunde später saßen sie am Esstisch, den Laptop hatten sie ans andere Ende
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