Dämonisches Tattoo
an Krebs gestorben.«
Wieder zog dieser Schatten über ihre Augen und plötzlich wurde ihm bewusst, dass Kate zwar vergangene Nacht furchtbare Angst gehabt hatte, ihre Familie aber noch immer nicht aus ihrer Sorge erlöst war.
»Wollen Sie ihren Vater anrufen? Wenn Sie sich kurzfassen und das Prepaid-Handy benutzen, wird niemand das Gespräch zurückverfolgen können.«
Sie schüttelte den Kopf. »Lieber nicht.« Als sie seinen überraschten Blick bemerkte, seufzte sie. »Mein Vater und ich haben ein ziemlich … angespanntes Verhältnis. Das letzte Mal, als wir uns sahen, sagte er mir, dass ich mich nie wieder blicken lassen bräuchte, wenn ich jetzt gehe. Abgesehen davon, dass er mich quasi aus dem Haus geworfen hat, ist er sowieso viel zu beschäftigt, um mitzubekommen, was in den Nachrichten läuft – noch dazu in den Nachrichten eines anderen Bundesstaates.«
»Mag sein, aber in solchen Fällen werden die Angehörigen von der Polizei verständigt. Er weiß also mit Sicherheit, was passiert ist.«
»Dann soll er schmoren, dieser verbohrte alte Dickschädel!«
»Ist das nicht ein bisschen hart?«
»Hart?«, schnappte sie. »Hart ist, dass er vermutlich gerade dabei ist, eine Klage gegen das FBI zu verfassen, das zugelassen hat, dass seine Tochter von einem seiner Agenten entführt wird. Hart ist, dass er stinksauer sein wird, wenn ich ihn nicht beauftrage, damit vor Gericht zu ziehen. Hart ist, dass es ihm dabei scheißegal ist, was mit mir passiert, solange ich nicht nach Frisco zurückkomme und das beschissene Studium zu Ende bringe, das er für mich ausgesucht hat.« Sie sprang auf, ließ sich aber sofort wieder in den Sessel fallen und fuhr sich über das Gesicht. Ihre Hände zitterten. »Entschuldigung«, sagte sie leise. »Ich wollte meinen Müll nicht bei Ihnen abladen.«
Chase sah den entschiedenen Zug um ihren Mundwinkel, mit dem sie sich zwang, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Gefühle, die sie anscheinend eine ganze Weile in sich verschlossen hatte. »Ihr Vater ist also Anwalt?«
»Er ist
der
Anwalt an der Westküste.«
»Erzählen Sie mir von ihm.«
»Viel gibt es nicht zu sagen.« Ihr Blick wanderte über den Teppich, an den Gardinen hinauf zur Decke. »Er wollte immer, dass Tim und ich Jura studieren, um danach in seine Kanzlei einzusteigen. Tim ist mittlerweile fertig und arbeitet für ihn, aber ich … Solange ich getan habe, was er von mir erwartete, war ich sein kleines Mädchen. An dem Tag, an dem ich ihm sagte, dass ich mein Studium abbrechen würde und als Journalistin arbeiten wollte, war ich für ihn gestorben. Er hat versucht mich davon zu überzeugen, weiterzumachen – erst hat er mir geschmeichelt und mir eine Belohnung in Aussicht gestellt, dann hat er mich angebrüllt, und als alles nichts half, hat er mich hinausgeworfen.«
»Da sind Sie nach Washington gegangen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht sofort. Ich habe bei mehreren kleinen Zeitungen in Frisco gearbeitet, zumindest so lange, bis mir mein Bruder dermaßen auf die Nerven gegangen ist, dass ich mich anderweitig umgesehen habe. Jeden Tag stand er bei mir auf der Matte und flehte mich an, ich solle zurückkommen und mein Studium wiederaufnehmen. Er kann einfach nicht begreifen, dass es nicht das ist, was ich will.«
»Das war ziemlich selbstbewusst von Ihnen. Nicht jeder hätte die Kraft gefunden, sich einem starken Mann, wie es Ihr Vater sichtlich ist, zu widersetzen.«
»Was glauben Sie, warum mein Bruder mich anfleht zurückzukommen?«
Sichtlich hatte Kates Bruder weniger Rückgrat. Statt seinem Vater zu sagen, dass auch er etwas anderes tun wollte, versuchte er seine Schwester zur Rückkehr zu bewegen.
»Seine Devise lautet: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Ich finde eher, dass es sich potenziert.« Sie zuckte die Schultern. »Das habe ich lange genug mitgemacht. Ich will mein Leben selbst bestimmen und mir weder von meinem Vater noch von meinem Bruder vorschreiben lassen, was ich zu tun und zu lassen habe. Der Job bei der Evening Post ist nicht das, was ich den Rest meines Lebens machen will, aber ich kann davon meine Miete bezahlen. Und wenn ich die Zusage der Universität von Maryland bekomme, kann ich nebenbei weiter für die Post arbeiten.«
»Sie wollen studieren?«
Kate nickte. »Journalismus und Politik. Ich möchte mich auf Politberichterstattung spezialisieren.«
»Ihnen ist aber schon klar, dass Sie mit Ihren üblichen Arbeitsklamotten da nicht weiterkommen.«
»Und darüber bin ich
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