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Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Titel: Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schleich
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Silber aufgeschöntem, nicht-edlem Metall.
    Glasstraße, Goldstraße, Silberstraße, Perlengasse, Knopfgasse, Gürtlerstraße, Hüttenstraße, Schmelzerweg lesen wir bei einer Fahrt durch die Stadt, die uns wie ein kolorierter und nachträglich in 3D verwandelter Schwarz-Weiß-Film der 50er-Jahre vorkommt. Fehlt nur noch, dass ein fröhlich trällernder Heinz Erhardt um die Ecke biegt. Auch eine Zwergstraße entdecken wir, die vielleicht symbolisieren soll, dass hier in kleinen Werkstätten mit heinzelmännchengleichem Bienenfleiß tagein, tagaus gehämmert, geschliffen, geschmolzen und gelötet und am märchenhaften Aufstieg von Neugablonz gearbeitet wurde. Schon in der Stunde null, wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, haben sie hier angefangen, aus weggeworfenen Blechdosen der Amerikaner sowie aus Bakelitabfällen und Glasscherben Schmuck zu machen. Und zwar in Heimarbeit, als viele von ihnen noch nicht einmal ein richtiges Zuhause hatten.
    Inzwischen fällt es den Schmuckherstellern von Neugablonz immer schwerer, asiatischer Billigkonkurrenz Paroli zu bieten, und viele Betriebe suchen ihr Heil in moderneren Geschäftsfeldern wie der Produktion von elektronischen Bauteilen und speziellen Zulieferteilen für die Automobilindustrie.
    Was aber nicht heißt, dass es sie nicht mehr gäbe, die unermüdlich heimwerkelnden Heinzelmännchen mit dem weichen sudetendeutschen Dialekt, auch wenn viele von ihnen – inzwischen ins Rentenalter gekommen – ihren früheren Beruf jetzt eher als Hobby ausüben. Und so finden sich hinter den Eternitfassaden Neugablonzer Einfamilienhäuser auch heute noch Menschen, die den ganzen Tag lang auf fauchenden Gasbrennern die Enden für Jahrzehnte gebunkerter bunter Glasstangen abschmelzen, um sie dann in schweren Eisenzangen, den Folterwerkzeugen der spanischen Inquisition nicht unähnlich, zu dekorativen Schmuckperlen zu pressen.
    Und wenn einer der alten Kunden, zu denen auch schon mal ein international renommierter Modeschmuckzar wie Christian Dior gehören kann, einen Spezialauftrag vergibt, dann wecken die rüstigen Heinzelrentner ihre sauber eingeölt vor sich hin schlummernden Werkstätten bereitwillig aus dem Dornröschenschlaf.
    Und trotzdem: Im Straßenbild von Neugablonz kann man einen gewissen Niedergang nicht leugnen. Nicht, dass hier etwas heruntergekommen wirken würde – so was würden die Heinzelmännchen nie zulassen, das hat es schließlich in der »Heimat« auch nie gegeben. Aber wenn man genauer hinschaut, dann sieht man sie, die hellen Stellen an den Häuserwänden, die abgeschraubte Firmenschilder hinterlassen haben, und die »Zu vermieten«-Plakate in leeren Schaufenstern. Und bei einer der wenigen größeren Werkstätten – von einstmals fünf Glashütten ist nur noch eine einzige übrig geblieben – verkündet eine Tafel: »Wir suchen«, und dahinter kommt … nix. Die zusteckbaren Schilder mit den Jobbezeichnungen sind wohl nach Indien ausgewandert.
    Spricht man mit alten Neugablonzern, dann sehen sie den Niedergang ihres Ortes ganz woanders. In den wodkabefeuerten Saufgelagen junger Russlanddeutscher zum Beispiel, die am Wochenende hinter der Shell-Tankstelle die Stereoanlagen ihrer Autos bis zum Anschlag aufdrehen. Ihre Eltern kamen in den 90er-Jahren, als Helmut Kohl sich seine Wähler quasi in Russland aus dem Katalog bestellte. Wer irgendwann einmal einen deutschen Vorfahren hatte, galt als Spätaussiedler und durfte nach Hause in die Bundesrepublik, wo er dann in der Wahlkabine sein Dankbarkeitskreuzchen – hoffentlich – bei der Partei des Dicken machte. Inzwischen haben auch russische Negativimporte wie Russenmafia und Drogenhandel Einzug in Neugablonz gehalten, und die Alt-Neugablonzer vergessen manchmal vor lauter Angst, dass auch sie vor drei Generationen als Fremde hier Aufnahme fanden.

Auf der Straße der Herzen – Altötting
    Auf der B 12 fahren wir nach Osten, vorbei an braungelben Straßenbäumen, vor denen Marterln mit den Bildern ums Leben gekommener Jugendlicher stehen, und alten Dorfwirtshäusern, die heute »da Giovanni« oder »Taverna Athen« heißen. Eine Tankstelle mit Backshop und Stehcafé, reiterbehelmte Kinder auf kleinen Pferden, die neben Feldern voller blau glänzender Solarpaneele von irgendeinem verfrühten Leonhardiritt zurückkehren. Wegweiser nach Hundsöd und Rattenkirchen, und hinter trostlosen Siedlungshäusern der markante Turm von Haag.
    Wir folgen – so in etwa – dem Weg, den seit 1651 immer

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