Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke
aufklärende Tafel unter dem Knochenmännlein ins Hochdeutsche übersetzt, nur knappe 50 Zentimeter misst, hat keine dieser Mütter je verlauten lassen, und während man, zu seinen knochigen Füßen stehend, zu ihm hinaufblickt, fragt man sich schon, ob heutige Erziehungsberechtigte ihre an Computerspiel-Zombies gewöhnten Sprösslinge noch mit diesem Bonsai-Boandlkramer vergleichen, der in der Youngster-Welt eigentlich »Der Doud z’ Eding nano« heißen müsste.
Ein gewaltiges Krachen reißt uns aus unseren morbiden Gedanken. Raschen Schrittes eilen wir nach draußen. Ist auf dem Kapellenplatz am Ende ein neuer Glaubenskrieg ausgebrochen? Oder hat sich dort ein enttäuschter Tilly-Fan aus Protest in die Luft gesprengt?
Nein. Es ist nur einer von diesen Mittelaltermärkten, bei denen man sich jedes Mal fragt, was Menschen des 21. Jahrhunderts wohl dazu bringt, sich freiwillig in kratziges Sackleinen zu kleiden und aus irdenen Humpen, die man mit einer Hand kaum heben kann, irgendwelche pappigen, nach Honig schmeckenden Alkoholika zu trinken. Direkt hinter der Gnadenkapelle haben die Freizeitritter ihre Zelte aufgestellt und auch gleich eine Kompanie Böllerschützen bestellt: Bayerische Artillerie. Ohne jede Zerstörungskraft, dafür aber infernalisch laut.
Unauffällig tasten wir uns heran. Die Ohren gespitzt, denn mit das Bizarrste an diesen um Jahrhunderte verspäteten Spektakeln ist die seltsam ungelenke Sprache, in der die Akteure dort miteinander kommunizieren: Gewollt gespreizt und unfreiwillig komisch, klingen sie normalerweise so, als würde sich ein Walther von der Vogelweide bei einem Hamburgerbrutzler eine Portion Pommes bestellen. »Geb er mir ein Scheffel voll dieser gerösteten Stänglein aus einer Frucht, die erst in dreihundert Jahren aus fernen Gestaden bei uns heimisch gemacht werden wird, und spar er nicht an der Tunke aus jener anderen Frucht, welche wir ebenfalls noch nicht kennen und die dereinst den Namen Paradiesapfel tragen wird.«
Hier ist das anders. Hier bietet ein bierernster Geschichtenerzähler, den feisten Körper in ein enges, wollenes Wams gepresst, einer Schar mäßig interessierter Kinder in neonbunten Daunenjacken ziemlich neuzeitliche Bespaßung: »Saggt die Prinzessin zu dem gstingerden Vadder« – tönt es in breitem Fränkisch durch die langsam abziehenden Pulverschwaden – »›Hör mal her, gstingerder Vadder: Wenn du den Brinzn ned zu mir lassd, dann schreibt ma der Brinz halt a E-Mail.‹«
Hinter ihm bietet ein mittelalterlicher Waffenhändler, an dessen Stand man neben Schwertern, Helmen und Hellebarden auch Armbrüste und Morgensterne erstehen kann, einem der Böllerschützen eine Zigarette an (200 Jahre, bevor der Tabak nach Europa kam – ein Wunder!), und am Stand daneben wird ein »Zaubertrank« ausgelobt: »garantiert ohne Alkohol«.
Wir verschmähen derlei mediävale Labungen und steuern lieber das nächste Wirtshaus an, auf dessen Fassade in großen Lettern steht: »Gasthof zur Post – G. Tandler«. Eine Stube in schwerem, bayerischem Rüschenbarock. Hirschgeweihe und ein ausgestopfter Auerhahn an der Wand, aber auch für eine dem Genius Loci angemessene Heiligkeit ist bei all dem dekorativen Halali gesorgt: Bei genauerem Hinschauen entdeckt man zwischen zwei Rehkrickerln einen guten Hirten, und vom Bierglas grinst uns ein pausbäckiger Mönch entgegen, dessen Physiognomie ein wenig an Franz Josef Strauß erinnert, den einstigen Herrn und Meister des hiesigen Wirts. Letzterem begegnet man dann auf dem Weg zum Klo. Gerold Tandler, der ehemalige bayerische Finanzminister steht leibhaftig an der Rezeption seines Hotels, hinter einem massiv hölzernen Tresen, auf dem die Schlagzeile des dort ausliegenden Bayernkurier verkündet: »CDU und CSU auf Rekordjagd«. Wir erinnern uns daran, dass uns dieser Mann bereits vor ein paar Jahren über den Weg gelaufen ist. Als wir in einem Hotel in Bozen miteinander an Helmuts Programm »Der allerletzte Held« schrieben, saß er jeden Morgen zwei Tische von uns entfernt zeitungslesend beim Frühstück, ohne auch nur einmal zu uns herüberzublicken. So auch eines Morgens, nachdem Helmut am Abend zuvor eine in Thomas’ Zimmer geschriebene Strauß-Passage in voller Lautstärke vorgetragen hatte. Über unserem Rührei fragten wir uns, was sich der Gerold wohl gedacht hat, falls ihm ganz leise die Stimme seines ehemaligen Herrn und Meisters ans Ohr gedrungen sein sollte.
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