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Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Titel: Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schleich
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wieder die Herzen bayerischer Herrscher genommen haben, zuerst mit Pferd und Wagen, später dann mit der Eisenbahn. Und das, nachdem sie aufgehört hatten zu schlagen, die Herzen, wohlgemerkt.
    Heute mutet es uns seltsam, ja makaber an, dass über Jahrhunderte viele Wittelsbacher Fürsten ihren Körper in München, ihr Herz aber in Altötting beisetzen ließen, in Wandnischen der dortigen Gnadenkapelle, direkt gegenüber der Schwarzen Madonna, der Patrona Bavariae. Der wollen wir einen Besuch abstatten, vor allem aber den Herzen von Kurfürsten und Königen, die mal mehr, mal weniger für Bayern geschlagen haben.
    »Wir bauen für Sie – Neubau der A 94«, schreit ein Schild in die Landschaft. Ein breites Asphaltband frisst sich, gesäumt von Lärmschutzwällen, durchs Land: So nimmt die vor Jahrzehnten als »Tandlers Wallfahrerautobahn« verlachte und wegen ihrer naturverachtenden Trassenführung durchs Isental heftig umstrittene Asphaltpiste also doch noch Gestalt an. Welche aktiven und ehemaligen CSU-Minister dafür wohl auf Knien um die Gnadenkapelle herumgerutscht sind?
    Altötting schließlich, am Ende der Reise, präsentiert uns schuhschachtelige 80er-Jahre-Häuser und trübsinnig-inspirationslose Neubauten. Das Übliche halt in unserem schönen Land. Die grünhaubigen Spitztürme der Stiftskirche stechen hinter einem quietschgelb gestrichenen POCO-Einrichtungshaus in den Himmel einer Stadt, die ausschließlich mit anderen Gnadenorten verschwistert ist: Fatima, Loreto, Lourdes, Tschenstochau – eine katholische Champions League der Wallfahrtsstädte und -stätten.
    Im November, so hat man uns erzählt, soll über Altötting eine vorwinterliche Stille liegen, ein fast schon melancholisches Innehalten nach dem sommerlichen Ansturm der Pilgergruppen aus allen Teilen des Landes – manche sagen lieber: aus aller Welt. Im November soll man es noch erleben können, das stille Altötting ohne den Massenansturm busladungsweise herangekarrter Büßer, Heilssucher und Marienanbeter. »Fahrt’s im November hin, dann is da staad.«
    Staad! Von wegen. Heute, am 4. November, ist »Tillymarkt« in der Stadt. Offene Geschäfte – so viel zum »heiligen Sonntag«! –, überfüllte Parkplätze, die Innenstadt voller Würstlstände und Verkaufsbuden. In den scharfen Schatten der tief stehenden Herbstsonne lauert schon die Winterkälte, und ein Stand des Lions Clubs der Stadt verkauft Adventskalender, bei denen man ein koreanisches Auto, einen koreanischen Flachbildfernseher und ein in China gefertigtes iPad gewinnen kann. Ländlich angetrachtelte Sonntagspaare schieben sich an Bretterbuden mit Kräuterbonbons, Pferdesalben und Dinkelspelzkissen vorbei, hinter ihren braungrauen Lodenschultern glotzen die leeren Schaufensteraugen zur Vermietung stehender Läden. Dönersoße tropft aus dicken Semmeln auf das Pflaster der Fußgängerzone.
    Warum, so fragt man sich, heißt diese Veranstaltung nur »Tilly-Markt«? Hier gibt es Tiroler Spezialitäten, Rosswürste, Nutella Crêpes, Weihnachtsgestecke in der Form von Rehen, winddichte Handschuhe, Bratpfannen, Backformen aus Silikon, auch in Herzform, aber in puncto Tilly: Fehlanzeige. Mag sein, dass in einem der geöffneten Supermärkte ein paar Plastikflaschen mit Palmolive im Regal stehen, für das in den 90er-Jahren eine gewisse Tilly Fernsehreklame gemacht hat (»Sie baden gerade Ihre Hände drin.« – »In Spülmittel???«).
    Aber vom »echten« Tilly, dem Feldmarschall der katholischen Liga aus dem Dreißigjährigen Krieg, keine Spur. Wenn man den sehen will, muss man schon in die Stiftspfarrkirche gehen und sich über eine gefährlich steile Steintreppe hinunter in eine enge Kammer tasten. In klaustrophobischer Enge stehen da fünf Metallsärge. Zwei, von denen einer so klein ist, dass nur ein Kind darin liegen kann, hat man direkt neben die Treppe gezwängt, drei größere haben an der Wand gegenüber etwas mehr Platz. Die zwei links und rechts sind aus verbeultem Blech, der dritte, der in der Mitte, aus angelaufener Bronze. Auf Kopfhöhe ein Fenster aus Glas, die Scheibe spiegelt, es ist schwer, ins Innere des Sargs zu sehen. Lorbeerblätter meint man auszumachen im schwachen Licht der Gruft, aber vor allem einen Schädel, im Lauf von Jahrhunderten braun geworden, im Oberkiefer stecken nur noch ein paar Zähne. Jemand hat mit einem glatten Schnitt die Schädeldecke abgesägt und sie anschließend wieder auf den Kopf gelegt, die Exaktheit des Schnittes mutet seltsam

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