Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke
sobald sie Helmut erblicken, und verzückt ausrufen: »Da ist der Strauß!!«
Und sie hört nicht beim einfachen Wahlvolk auf. Wir erinnern uns noch gut daran, wie bei jenem inzwischen in die Annalen eingegangenen Nockherberg 2010 im Anschluss an das Singspiel der amtierende Ministerpräsident Seehofer auf der Suche nach Helmut für ein gemeinsames Foto durch die Kulissen irrte und rief: »Franz Josef, wo bist du? Hallo, Franz Josef, komm zu mir!?!« Da muss man direkt aufpassen, dass einem nicht selbst die Realitäten durcheinandergeraten.
Es gibt im Rheinland eine Kaufhauskette mit dem Namen »Strauss«. Helmut erzählt, wie er dort kürzlich einmal, strumpfsockig zwischen Umkleidekabine und Jeans-Regal stehend, von einer älteren Frau angesprochen wurde: »Sind Sie vom Strauss?« Leider nuschelte die Dame so sehr, dass Helmut verstand: »Sie sind der Strauß«, was er sofort mit leisem Stolz bejahte – schließlich wird er zwischen Rhein und Ruhr nicht allzu oft erkannt.
Während Helmut sich innerlich schon auf eine kleine Lobrede Marke »Ich habe Sie mal im Kabarett gesehen, ich finde das ja köstlich, wie Sie das machen …« einstellte, meinte die Dame nur: »Dann können Sie mir sicher sagen, wo ich hier Lederhandschuhe finde.«
Auch wenn Strauß sich immer sehr fürs Geschäft interessiert hat, Verkäufer in der Herrenabteilung eines Kaufhauses war er nie.
Wir lösen uns von dem Denkmal und gehen zu Fuß weiter durch ein Schongau, das mit Helmuts Kindheitserinnerungen aus den 70er-Jahren nicht mehr viel zu tun hat. Damals war die Stadt trotz ihrer Schattenlage abseits der Autobahn ein durchaus funktionierender Mikrokosmos, eine eigenwillige Mischung aus Bauerndorf und Industrieort, die innerhalb ihrer bis heute intakten Stadtmauern eine lebendige Geschäftswelt, den Verlag einer unabhängigen Heimatzeitung, zahlreiche Wirtshäuser und sogar ein Kino beherbergte.
In dieser Zeit hatte sich die Bahn noch nicht »aus der Fläche zurückgezogen« – wie man den Kniefall der Eisenbahn vor dem Auto euphemistisch umschreibt –, und Schongau war ein Nebenbahnknoten, an dem die Strecken von Landsberg, Kaufbeuren und Weilheim zusammenliefen. Der kleine Helmut verbrachte ganze Sonntagvormittage damit, den Güterzügen der beim Rangieren zuzuschauen, und einmal hat er sich mit Hilfe seines Großvaters in den Ringlokschuppen geschlichen. Sie sind auf die abgestellten Lokomotiven geklettert und haben sich in ihre Führerstände gestellt, die über das Wochenende nicht verschlossen waren – unvorstellbar in der heutigen Zeit, wo einem jeder Quadratzentimeter öffentlichen Raumes videoüberwacht erscheint, selbstverständlich zu unserer eigenen Sicherheit. Trotz dieses Mangels haben wir die damalige Zeit überlebt. Der Lokschuppen leider nicht. Woanders hätte man das Bauwerk aus den 20er-Jahren möglicherweise einer kulturellen Nutzung zugeführt, in Schongau hat man es abgerissen und die Fläche einer Supermarktkette zur Verfügung gestellt.
Auch die kleine Molkerei am Rand der Innenstadt mit dem schönen Namen »Erstes Bayerisches Butterwerk Schongau« ist längst dem Erdboden gleichgemacht. Helmut erinnert sich, wie in seiner Kindheit sogar Lastwägen aus dem Iran, der damals noch Persien hieß, bis vor die großelterliche Haustüre standen, um in der Käserei riesige Laibe Emmentaler Käse in ebenso riesigen Mengen abzuholen. Dass der Schah damals beste Beziehungen zu Bayern und den Schweizer Banken hatte, ist bekannt, dass er offenbar auch ein Faible für in Bayern hergestellten Schweizer Käse hatte, wirft nachträglich ein ganz anderes Licht auf ihn und sein Land.
Heute unterliegt der Iran einem Handelsembargo, das sich vermutlich auch auf Schongauer Emmentaler erstreckt, und das Butterwerk ist längst wieder neu erstanden. Am Ortsrand, wo es jetzt in Verkennung jeglicher geografischer Grundkenntnisse »Hochland« heißt und in seiner Werbung von sich behauptet, die größte und modernste Weiß- und Frischkäsefabrik Europas zu sein. Wen interessiert heutzutage schon der Geschmack eines Käses? Hauptsache, er kommt aus einer großen und modernen Fabrik.
Quer durch das Gewerbegebiet, das wie ein Geschwür an der alten Stadt hängt, verlassen wir Schongau und fahren über Burggen, den letzten Winkel Oberbayerns, der sprachlich schon tiefes Schwaben ist, nach Bernbeuren und dann weiter auf den Auerberg. Helmut hat noch lebhafte Erinnerungen an die legendären Auerbergrennen der 70er-Jahre. Der ganze
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