Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Titel: Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schleich
Vom Netzwerk:
chirurgisch an und will nicht so recht zum Dreißigjährigen Krieg passen, dessen Ende Tilly nicht mehr erlebt hat.

    Tillys Schneewittchensarg
    Der Franzosenkaiser Napoleon, so erinnert sich Thomas an Gelesenes, hat bei seinem Besuch in Altötting angeblich den sorgsam zugelöteten Sarg öffnen lassen, woraufhin das Fleisch der bis dahin bestens konservierten Leiche vor den Augen des Imperators zu Staub zerfallen sein soll. Wer weiß, vielleicht hat ja Napoleon dem Toten den Schädel aufsägen lassen, nur um zu sehen, was vom Hirn eines berühmten Kriegsmannes nach über 150 Jahren noch übrig ist?
    Auch sonst, das muss man hier unten in seiner Gruft schon mal konstatieren, ist man mit dem toten Tilly im frommen Altötting nicht gerade zimperlich umgegangen. Erst neulich, erzählt Helmut, hat ihm der Passauer Bischof sein Benefiziat gestrichen, für das er 1630, zwei Jahre vor seinem Tod, der Kirche ein Vermögen hingeblättert hat. Bis in alle Ewigkeit, so verfügte es der »Feldherr der Christenheit«, sollte jeden Tag um 7 Uhr früh in der Kapelle oberhalb der Gruft eine Messe für ihn gelesen werden, vor einem schwarzen Hochaltar, auf dem er selbst kniend vor dem Gekreuzigten verewigt ist. Und das hat man, nachdem Tilly an der letzten seiner vielen Verwundungen gestorben war (eine schwedische Kanonenkugel hatte dem 73-Jährigen in der Schlacht bei Rain den Oberschenkel zertrümmert), auch brav gemacht. Bis ihm der Passauer Bischof Schraml 2012 nach nur 380 Jahren – ein Wimpernschlag im Vergleich mit der Ewigkeit – dieses Privileg ersatzlos gestrichen hat.
    Tja, Tillys Geld sei leider dahin, soll der fromme Hirte verlautbart haben, davon haben wir im Ersten Weltkrieg Kriegsanleihen gekauft, und der Rest ist 1923 in der Inflation draufgegangen.
    Die Süddeutsche Zeitung hat ausgerechnet, dass die Kirche nur die Hälfte von Tillys 6300 Gulden krisensicher anlegen hätte müssen, dann wären daraus bis heute 400 Milliarden Gulden geworden, was nach gängigen Umrechnungstabellen 20 000 Milliarden Euro entspräche – genug Geld also, um 60 Problemstaaten vom Kaliber Griechenlands komplett zu entschulden. So, wie’s jetzt allerdings aussieht, kann man nur bedauernd die bischöflichen Handflächen zum Himmel drehen und sagen: Pech gehabt, Herr Tilly. Warum die Kirche allerdings erst 2012 merkt, dass ihr seit 1923 das Geld für das Tilly-Amt fehlt, wird wohl auf immer und ewig ihr Geheimnis bleiben. Dass der seit Jahrhunderten extra für das Lesen dieser Messe eingestellte Priester ausgerechnet in einer Wohnung untergebracht war, die jetzt mit zwei anderen zu einem luxuriösen Alterswohnsitz für den in den Ruhestand gehenden Passauer Bischof zusammengelegt wird, hat damit aber mit Sicherheit nichts zu tun. Aber schon gleich gar nichts.

    Wir sind inzwischen die steile Treppe wieder hinaufgestiegen und lesen erst jetzt das Hinweisschild, das vor einem allzu unbekümmerten Abstieg warnt. Todessturz in die Tilly-Gruft – das hätte uns gerade noch gefehlt. Auch ohne das ist nämlich der Tod hier in dieser Kirche allgegenwärtig. Als Schwarz-Weiß-Fotos Altöttinger Weltkrieg-Zwei-Gefallener in Uniform zum Beispiel, oder in Form einer düster-violetten Standarte, auf der die Worte »Sei mir gegrüßt, Bruder Tod« in angelaufenem Silberfaden eingestickt sind. Und dann natürlich im »Doud z’ Eding«, dem stillen Star der Stiftspfarrkirche.
    Seit Jahrhunderten lässt er, angetrieben vom Räderwerk einer barocken Schrankuhr, sein Senserl mechanisch durch die Luft messern, und bei jedem Schnitt, so sagt man, stirbt irgendwo auf der Erde ein Mensch. Man traut sich jetzt nicht das Smartphone mit der Rechner-App herauszuziehen, deshalb muss die Frage, ob er bei einer Weltbevölkerung von sieben Milliarden Menschen nicht doch ein bisserl schneller sensen müsste, unbeantwortet bleiben.

    Sensenmann nano – der »Doud z’ Eding«
    Der kleine, grausige Geselle würde sich von uns ohnehin nicht beeinflussen lassen. Er schneidet weiter im Tempo des 17. Jahrhunderts, zufrieden mit sich und der Welt. Schließlich muss er sich nichts mehr beweisen, längst hat er es in die Ruhmeshalle der bayerischen Redewendungen geschafft. »Du schaugst ja aus wie der Doud z’ Eding«, haben unzählige Mütter mitleidlos zu ihren Söhnen und Töchtern gesagt, wenn diese sich nach einem ersten jugendlichen Alkoholexzess mit graugrünem Gesicht reumütig am nächsten Tag zu ihnen in die Küche schlichen. Dass dieser »Tod in Eding«, wie eine

Weitere Kostenlose Bücher