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Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Titel: Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schleich
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Südosteuropa schon als eine derartige Bedrohung empfindet, dass sich daraus jederzeit politischer Sprengstoff basteln lässt.
    Für politischen Sprengstoff – wenn auch ganz anderer Art – hat auch ein ganz anderer Aussiedler gesorgt, der 1970 nach einer langen Irrfahrt in Neugablonz Asyl gefunden hat. Er ist an die drei Meter groß, ganz aus Metall und steht auf einem Brunnen direkt vor der Herz-Jesu-Kirche, vor deren architektonischer Antimaterie er sich trotz heroisch-steifer Pose und Ritterrüstung wie eine Allegorie der Sinnlichkeit ausnimmt. Das sollte er aber nie sein, dieser Rüdiger von Bechlaren, ein Held der Nibelungensage, der sich da, wie die per Smartphone zu Hilfe gerufene Wikipedia zu berichten weiß, angeblich ins Gebet vertieft. Wir finden ja eher, dass seine in Eisenhandschuhen steckenden Hände so aussehen, als würde er provozierend mit den Fingergelenken knacken und sagen: Kommt nur her, wenn ihr euch traut!
    Vielleicht war das ja mit ein Grund dafür, dass es Ende der 60er-Jahre Proteste gegen die Aufstellung dieses »Revanchistendenkmals« gab, das auf verschlungenen Wegen ins Allgäu kam: Als einziges Überbleibsel eines gigantischen, aber nie fertiggestellten Nibelungenbrunnens für die Stadt Wien verschlug es den Rüdiger 1924 nach Gablonz an der Neiße, wo man aus ihm einen Brunnen vor der Herz-Jesu-Kirche machte. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als in der kommunistischen Tschechoslowakei die Luft für deutsche Heldenfiguren ziemlich dünn wurde, hat man ihn durch ein Denkmal für die siegreiche Sowjetarmee ersetzt und in ein Depot verbannt. Erst nach langen Verhandlungen konnte er 1968 käuflich erworben und nach Neugablonz geholt werden – quasi als letzter, dafür aber größter und schwerster aller Vertriebenen, die hier ihre neue Heimat gefunden haben.
    Es ist dieser Brunnen, aufgestellt vom »Anpflanzungs- und Verschönerungsverein« (»Der Fortpflanzungsverein würde mich mehr interessieren«, meint Helmut), der uns den Schlüssel zum Verständnis von Neugablonz an die Hand gibt. Das hier ist keine bayerische Stadt und schon gar keine Allgäuer Stadt (während unseres ganzen Aufenthalts hören wir kein einziges Wort Allgäuerisch), hier hat man seit 1945 unermüdlich genau das getan, was der Ortsname ja schon sagt: Man hat sich ein neues Gablonz gebaut.

    Beten nach Nibelungenart – der Rüdigerbrunnen in Neugablonz
    Im Isergebirgs-Museum am Neuen Markt in der Ortsmitte wird das überdeutlich. Hier, wo man auf langsam verbleichenden Schwarz-Weiß-Fotos tief in die verlorene Welt des Sudetenlands eintauchen kann, müssen wir sogar den Erbauern der Herz-Jesu-Kirche teilweise Abbitte leisten: Bei dem von uns als Kathedralenbunker geschmähten Bau handelt es sich allem Anschein nach weniger um ein Dokument architektonischer Ideenlosigkeit der Nachkriegszeit als um den gar nicht mal so misslungenen Versuch, das gleichnamige Gotteshaus aus Original-Gablonz im Stil der 50er-Jahre nachzubauen.
    Angesichts von so viel Energie, das verlorene Zuhause in der Fremde wieder zu erschaffen, keimt in einem fast schon der Verdacht auf, auch die Allgäuer Alpen könnten möglicherweise ein Nachbau sein. Ein Nachbau des Isergebirges, dem dieses Museum gewidmet ist und das den Neugablonzern auch heute noch so gegenwärtig ist, dass die Plakate am Schaufenster des einzigen Cafés am Neuen Markt nicht nur zu einem Vortrag zum Thema »Besessen, verflucht oder seelisch krank?« einladen, sondern auch zu einem »Zeitzeugenstammtisch« zum Thema »Wintersport im Isergebirge«.
    Hätten wir mehr Zeit, würden wir dort zu gerne vorbeischauen, um bei Filterkaffee und Flaselkuchen mehr über die »Heimat« erfahren, wie ältere Neugablonzer das längst in Jablonec umbenannte Gablonz noch immer nennen. Nicht »alte Heimat«, nur »Heimat«, als würden sie irgendwann einmal dorthin zurückkehren.
    Bestimmt würden an diesem Stammtisch auch die Namen der Orte fallen, nach denen hier viele Straßen benannt sind: Albrechtsdorf, Proschwitz, Marchowitz – kein Wunder, dass sich der Stadtplan von Neugablonz teilweise wie eine Wanderkarte durch das 600 Kilometer entfernte Isergebirge liest.
    Und wenn eine Straße hier keinen Bezug zur geografischen »Heimat« hat, dann erinnert ihr Name zumeist an das, womit sich schon die Ur-Gablonzer in der k. u. k.-Zeit vornehmlich beschäftigt haben: an die Herstellung von Modeschmuck und dekorativen Gegenständen aus Glas, nachgemachten Edelsteinen und galvanisch zu Gold und

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