Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke
der Gipfel in dichten Wolken. Der Zug arbeitet sich weiter durch ein enges Tal mit einem asphaltierten, neben den Gleisen verlaufenden Weg. Schmutzigbraun sind die wenigen noch verbliebenen Blätter der Laubbäume, graugrün, fast schwarz die schlaff herabhängenden Zweige der Nadelbäume.
Mit kurzen, pneumatischen Prustern wendelt sich der Zug um die enger werdenden Kurven der Schmalspurgleise, die auf einmal eine Zahnschiene in der Mitte haben. »Alpensport total«, verkündet ein angegrautes Poster neben der Strecke, ein Plakat mit einem leicht bekleideten Skihaserl erinnert an ein Titelbild des Time-Magazine von 1936, auf dem eine auf Skiern stehende Leni Riefenstahl im Badeanzug vor einer Garmischer Schneekulisse für den Fotografen posierte. Die Strecke wird steiler, ein paar dicke Regentropfen rinnen melancholisch langsam an den Fensterscheiben nach unten, und ein leises Rumpeln unter unseren Füßen zeigt an, dass die Urlaubs-U-Bahn jetzt als Zahnradbahn unterwegs ist.
Passend zum Anstieg spielt der Flachbildschirm jetzt eine Lufthansa-Werbung ein, für 99 Euro – dem Gegenwert von zwei Zugspitzkarten – kann man nach London fliegen. Man hört jetzt, wie die Elektromotoren des Zuges sich anstrengen müssen. An bemoosten Baumstämmen und von Flechten überzogenen Baumskeletten vorbei fährt er in einen finsteren Tunnel ein, der aber nach ein paar Metern schon wieder zu Ende ist. Feister Nebel quillt aus dem Tal herauf. Mit abgehackt prustender Luftdruckanlage schwanken wir auf schüttere Restschneefelder zu, die sich sanft angegraut um Felsen und Baumstämme schmiegen.
Wieder ein Tunnel – der Flachbildschirm preist jetzt irgendein technisches Wunderwerk der Automobiltechnik namens BMW X-Drive an, jetzt in 46 Modellen –, eine Röhre aus Fels und Beton, deren düstere Wände langsam an uns vorbeiziehen. Mit elektrischem Summen, Zahnradknirschen und hin und wieder einem hellen Piepston aus dem Führerstand. Ein grünes Signal taucht aus der Schwärze auf, gefolgt von einer erleuchteten Stelle, wo »2000 Meter über Görlitz« an der Wand steht – was immer das bedeuten mag. Eine gelblich angestrahlte Muttergottes in einer Felsnische, die Patrona Bavariae im Bauch ihres höchsten Berges. Müde wird man von dieser Aufwärtsschaukelei, man sehnt sich nach Ankunft, nach Auftauchen aus diesem Stollen, nach freiem Bergblick, aber es zieht nur eine Sinalco-Reklame vorbei und ein Fluchtwegzeichen, das nach unten zeigt. Dann hört man ein Geräusch wie von einer ganz langsam schleudernden Waschmaschine, der Zug verliert an Fahrt, und das No-Dialect-Weibchen aus dem Lautsprecher softet: »Next stop Glacier Station. To continue to the summit, please take the Glacier train.«
Ein großer Schaltkasten erscheint vor dem Fenster, ein paar an die Betonwand schablonierte Zahlen. Die Türen gehen auf, wir verlassen den Zug. Im Inneren des Bergs riecht es wie im Umkleideraum einer Schulturnhalle, den man 14 Tage nicht gelüftet hat. Nur schnell ins Freie, vorbei an der enttäuscht dreinblickenden Verkäuferin des Souvenirladens, der eine Horde kauffreudiger Asiaten wohl lieber gewesen wäre als zwei von der Zugfahrt gebeutelte bayerische Forschungsreisende.
Eine automatische Tür öffnet die Glasflügel und entlässt uns hinaus in eine unwirkliche Welt. Schneidend kalte Luft, Wolkenfetzen, und Schnee. Viel Schnee, vom Wind über das Zugspitzplatt geblasen, ein eiskalter Whiteout, an den sich unsere tunnelgeweiteten Augen ein paar Sekunden lang gewöhnen müssen. Erst dann nehmen sie langsam deutlicher werdende Umrisse wahr in diesem wirbelnden Weiß. Die Symbole Bayerns: ein Kircherl oben am Berghang, einen Maibaum – und einen 3er-BMW. Nicht auf einem Plakat, nicht als Modell, nein, als wahrhaftiges Auto steht er vor uns und grinst uns mit seiner schneebestäubten Kühlerniere von einem Podest herab an, als spielte er mit uns Hase und Igel: Ganz gleich, ob du in Schwabing einen Parkplatz suchst oder Erholung auf dem höchsten Berg Bayerns – wo immer du auch hinkommst, ich bin schon da – und wenn ich mich mit dem Hubschrauber herfliegen lasse.
Autoland Bayern
Ohne X-Drive knöcheltief im Schnee versinkend, kämpfen wir uns zurück zum Bahnhofsgebäude, das irgendein Scherzkeks »Sonnenalm« getauft hat. Drinnen ein Selbstbedienungsrestaurant ohne Gäste, dafür aber erfüllt von sämig-fettigem Küchengeruch. Auf skistiefelfesten Gummiböden gehen wir an trüb-funzeligen, mit den Silhouetten von Gämsen,
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