Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke
Hirschen und Skifahrern dekorierten Lampenschirmen vorbei zum »Glacier train«. Wieder sind wir die Einzigen in dieser geräumigen Seilbahnkabine, die über weite, leere Schneefelder hinauf zum Gipfel schwebt. Oder besser gesagt, die einzigen zahlenden Passagiere, denn hinter uns streiten sich drei Bedienstete der Zugspitzbahn darüber, wer denn nun schuld sei an der sportlichen Misere ihres Heimatvereins FC Dynamo Dresden.
Wir sind froh, als die Kabine in der Bergstation zu einem Halt pendelt und wir hinaus können in die majestätische Gipfelwelt auf dem Dach Bayerns. Es ist eine Welt aus Beton. Betonböden, Betonwände, Betondecken. Wir sind am höchsten Punkt unseres Landes, fast 3 000 Meter über dem Meeresspiegel, und tappen einen fensterlosen, von Neonröhren erleuchteten Betongang entlang, immer den Wegweisern »Summit« nach. Wo so viel Beton ist, muss es doch auch Betonköpfe geben, scherzen wir noch, zugebenermaßen etwas naheliegend, aber gleich darauf erreichen wir ein kleines, ebenfalls fensterloses Museum, in dem die Geschichte des Schneeferner-Hauses, die Geschichte der Zahnradbahn, die Geschichte des Wetterdienstes auf der Zugspitze – kurz: Die Geschichte der gründlichen Verschandelung eines jahrhundertelang als unbezwingbar geltenden Bergriesen dokumentiert wird. Und siehe da, wer lächelt uns da aus von hinten erleuchteten Schwarz-Weiß-Dias an? Zwei Serienhelden unseres Buchs, der unvermeidliche FJS mit Ehefrau Marianne und Joseph Ratzinger, der Hausvater von Pentling und Heilige Vater in spe, wie er im schneeweißen Kardinalskleid die Kapelle Maria Heimsuchung auf dem Zugspitzplatt weiht. Auch hier das bayerische Hase-und-Igel-Spiel, auch hier die Omnipräsenz weiß-blauer Premiummarken.
Ein Prosit der Gemütlichkeit – Bayerns höchster Biergarten
Fehlen eigentlich nur noch Alfons Schuhbeck und der FC Bayern, konstatieren wir, während wir den roten »Summit«-Pfeilen immer weiter nach oben folgen, vorbei an Plakaten für Sonnencreme und Geländewagen, die mal ausnahmsweise nicht von der Firma BMW sind. Auch als wir endlich den Weg zum »Summit« gefunden haben und hinaus ins Freie treten, bleibt der Beton uns treu, nur dass er hier draußen von einer tückischen Eisschicht überzogen ist. An einer Reling, die einem Ozeandampfer alle Ehre machen würde, hangelt man sich durch einen scharf pfeifenden Wind, der einem nadelspitze Eiskristalle ins Gesicht spuckt, hinaus in eine trübe Wolkensuppe, vorbei am Gipfelfotoautomaten, dessen auf Knopfdruck geschossene Bilder man sich später im Internet downloaden kann, zum »höchsten Biergarten Bayerns« – ein paar traurigen, von einer Schneedecke überzogenen Klapptischen und -bänken. Von hier aus ist es nicht mehr weit zur Münchner Hütte, die inmitten dieses künstlichen Berg-Halli-Gallis mindestens so deplatziert wirkt wie Luis Trenker auf einer Facebook-Party im P1. Mal ehrlich: Wer braucht so eine aus eisenbewehrten Holzbalken zusammengezimmerte Massenunterkunft, wenn er sich nur zwei Betontreppen weiter unten in der Panoramalounge an »Original Dallmayr Zugspitzkaffee« laben kann?
Das ist der Gipfel ... – Blick aus der »Summit«-Lounge auf der Zugspitze
Von dort aus haben wir einen freien Blick auf das golden lackierte, seltsam geschleckt wirkende Gipfelkreuz, auf das doch tatsächlich zwei Gestalten in dicken Daunenjacken zustapfen, am Körper so viel alpine Kletterausrüstung, dass man damit locker ein mittelgroßes Bergsportgeschäft aufmachen könnte. Die beiden Gipfelstürmer streifen die Handschuhe ab und fotografieren sich gegenseitig in Siegerpose, beklatscht und bejohlt von einer lärmenden Gruppe jugendlicher Schulausflugsdödel, die mittlerweile den Weg in die bis dahin nur uns zweien gehörende Panoramalounge gefunden haben.
So richtig will man dem alpinen Männlichkeitsritual da draußen aber dann doch nicht über den Weg trauen. Wer garantiert einem denn, dass die beiden Sportsfreunde nicht mit der Seilbahn heraufgefahren sind, sich auf der Toilette heimlich die Ausrüstung angelegt haben und jetzt vor nichtsahnenden Flachlandtirolern die große Show abziehen? Oder anders gefragt: Wer ist wirklich so plemplem, sich bei diesem Mistwetter zu Fuß einen fast 3 000 Meter hohen Berg hinaufzuquälen, um dann in diesem vollklimatisierten Affenhaus zu landen?
Europas offene Grenzen
Während einer der Bergfexe draußen seinen Eispickel in Siegespose gen Himmel reckt, treten wir die Flucht zur Eibsee-Seilbahn an. Die
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