Daisy Goodwin
Heimkehr
Tom, der Junge vom Telegraphenamt,
überlegte, ob er seine Kappe abnehmen sollte. Laut
den Regeln des Postamts war es streng verboten, doch es war so ein warmer Tag,
und hier in den Wäldern von Lulworth würde ihn ja niemand sehen. Aber wenn Mr.
Veale zu Ohren käme, dass er unangemessen gekleidet war, würde er zurück zu
seiner Mutter nach Langton Maltravers geschickt werden. Mr. Veale hatte Tom in
der vergangenen Woche einen Sixpence abgezogen, weil er zugelassen hatte, dass
die Silberknöpfe an seiner Uniform anliefen; und ein anderer Junge war sogar
entlassen worden, weil er mit offenem Kragen ein Telegramm überbracht hatte.
Tom beschloss, dass die unmittelbare Erleichterung, die es ihm verschaffen
würde, seine Kappe abzunehmen, welche zu klein war und an seinen Schläfen
scheuerte, das Risiko, entdeckt zu werden, nicht aufwog. Mr. Veale bekam es
immer heraus, wenn Regeln gebrochen worden waren. Er bildete sich etwas darauf
ein, Vergehen riechen zu können. Tom war bis zu dem Vorfall mit den
Knöpfen gar nicht klar gewesen, was ein Vergehen überhaupt war, und selbst
jetzt fragte er sich noch, wie man es riechen können sollte. Die fünf
verbliebenen Telegraphen-Jungen rochen ziemlich gleich: nach Tinte, Schweiß und
dem Natron, mit dem sie ihre Knöpfe zum Glänzen brachten. Im Winter rochen sie
ein bisschen weniger und im Sommer ein bisschen stärker.
Vom Postamt in Lulworth bis zum
Schloss waren es drei Meilen. Mr. Veale schickte immer Tom, weil der am
schnellsten laufen konnte. Einundzwanzig Minuten brauchte er für den Hinweg
und nur siebzehn für den Rückweg, weil es da bergab ging. Mr. Veale hatte ihm
gesagt, er müsse es heute in zwanzig Minuten schaffen, weil das Telegramm vom
Herzog war. Tom gab sein Bestes und trabte schnellen, beschwingten Schrittes
voran – ungefähr auf der Mitte zwischen Gehen und Laufen. Er war genau um neun
losgegangen, und obwohl er keine Taschenuhr besaß, wusste er, dass er gut in
der Zeit lag, denn er hatte die Glocke der Kirche von Lulworth einmal schlagen
hören, was bedeutete, dass es Viertel nach war. Er befand sich jetzt auf dem
Teil des Weges, der nach einer Gruppe von Birken eine Kurve machte und den
Blick auf das Schloss freigab. Es war nun keine Frage mehr, ob er seine Kappe
abnehmen würde – Tom wusste, dass er aus jeder der funkelnden Fensterscheiben
beobachtet werden konnte. Er löste im Laufen den Riemen unter seinem Kinn und
stellte ihn etwas weiter ein, damit kein roter Striemen zu sehen war, und
dachte an das Glas Limonade, das ihm in der kühlen Schlossküche angeboten werden
würde.
Bertha sah den Jungen vom Fenster in Miss
Coras Zimmer aus. Ihre Herrin lag noch im Bett, ohne zu schlafen, sie starrte
auf den Baldachin über ihr, als wäre er eine Landkarte. Bertha beunruhigte
das, genauso wie Coras Schweigen. Sie hatte am Abend zuvor beim Essen die
Gerüchte gehört, dass der Herzog nach Hause käme. Mr. Bugler glaubte, dass er
heute käme, und er hatte die Diener angewiesen, ihre guten Livreen zu tragen.
Bertha selbst hatte ihre beste cremefarbene Seidenbluse angezogen. Es war
natürlich einmal Miss Coras Bluse gewesen, aber
die hatte sie nie getragen. Bertha mied helle Farben eigentlich grundsätzlich,
weil sie ihre Haut dunkler wirken ließen, aber nach einem englischen Winter
tat ihr das Schimmern der hellen Seide gut. Für ihre Herrin hatte sie das
hellgrüne Nachmittagskleid mit den Applikationen aus Barchent herausgelegt, das
ihrem Empfinden nach das Schmeichelhafteste von den Kostümen war, die Miss
Cora derzeit tragen konnte. Aber Cora hatte nicht einmal daran denken wollen,
sich anzuziehen, und den Kopf geschüttelt, als Bertha sie aus dem Bett locken
wollte. Sie hatte es sogar abgelehnt, dass Bertha ihr das Haar machte, das in
schlaffen Strähnen auf den Kissen lag. Bertha war an die Launen ihrer Herrin
gewöhnt, aber das Haar hatte sie ihr bisher noch immer machen sollen. Es passte
eigentlich nicht zu ihr, sich so gehenzulassen. Bertha verstand nicht, warum
ihre Herrin überhaupt Trübsal blies. Sie wartete doch seit fünf Monaten
darauf, dass der Herzog nach Hause kam, und jetzt, da er auf dem Weg war, lag
sie da wie eine Leiche.
Sie wandte sich vom Fenster ab. «Ich
sehe den Jungen vom Telegraphenamt, Miss Cora.»
Sie erhielt
keine Antwort.
«Er bringt
bestimmt ein Telegramm vom Herzog. Vielleicht kommt er mit dem
Nachmittagszug.» Wieder keine Antwort. Bertha beobachtete, wie der Junge die
Stufen zum Schloss
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