Daisy Goodwin
Duell
hineingezogen zu werden. Mit leisem Kopfschütteln fuhr die Herzogin fort: «Erst
letzte Woche habe ich einen Nachmittag damit verbracht, der alten Mrs.
Patchett vorzulesen, einer der Pensionärinnen in Conyers, sie ist blind.
Sie sagt immer, wenn ich ihr vorlese, werden die Worte lebendig und sie sieht
die Figuren förmlich vor sich. Es macht
mich ganz verlegen, wie dankbar sie ist, aber es ist das
Mindeste, was ich tun kann – ich wünschte nur, es wäre mir möglich, sie öfter
zu besuchen. Steine und Mörtel haben
natürlich auch ihren Wert, aber nichts kann doch den menschlichen Kontakt
ersetzen, die Freundlichkeit seinen Mitmenschen gegenüber.» Herzogin Fanny
lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, ganz rosig vor Rührung angesichts ihrer
eigenen Güte.
Cora legte klappernd ihre Gabel
nieder; die Selbstgefälligkeit dieser Frau war unerträglich, sie würde sich
von diesem ungeladenen Gast nicht belehren lassen, ob er zur Familie gehörte
oder nicht.
«Nun, das erklärt allerdings, warum
es im Dorf keine Schule gibt
und warum die Armenhäuser der Maltravers ständig feucht sind. Sobald Ivo
zurückkehrt, werde ich ein vernünftiges Schulhaus bauen lassen und die Armenhäuser bewohnbar machen. Ich denke, das
wäre wirklich freundlich den Bewohnern von Lulworth
gegenüber.» Sie nahm einen Bissen von der mit Wurst gefüllten entbeinten
Wachtel und bemerkte, dass die Herzogin ihre
nicht angerührt hatte. Sybil gab ihr Bestes, vollkommen mit ihrem Essen beschäftigt
zu wirken.
Herzogin Fanny seufzte übertrieben,
als würde sie sich ergeben. «Ihr Amerikaner seid immer so praktisch – in eurer schönen
neuen Welt ist kein Platz für unsere alten Vorstellungen von Pflicht- und Ehrgefühl.»
Sie senkte den Blick, als konzentriere sie sich auf eine Zielscheibe, setzte
sich noch aufrechter hin und machte sich
bereit für den Gnadenstoß. «Und wann kommt Ivo zurück, meine Liebe? Ich dachte,
er wäre bereits da.»
Cora sah auf, überrascht, mit welcher
Gewissheit ihre Schwiegermutter dies sagte. «Sein letzter Brief kam aus Port
Said. Ich erwarte ihn also nächste Woche.»
Die doppelte Herzogin verzog
triumphierend den Mund. «Aber liebe Cora, Ivo ist bereits wieder in England.
Ich habe gestern Abend den Prinzen von Wales
gesehen, und er sagte, dass Prinz Eddy und die ganze Gesellschaft gestern in
Southampton angelegt haben.»
Cora legte
die Gabel auf halbem Weg zum Mund nieder und zwang sich zu lächeln. Sie würde
ihrer Schwiegermutter nicht die Befriedigung verschaffen, sich ihre Bestürzung
anmerken zu lassen.
«Oh, das
sind ja wunderbare Neuigkeiten. Dann ist er sicher gerade auf dem Weg hierher.
Bestimmt wollte er mich überraschen.» Sie sah Sybil an und fragte sich, warum
nicht wenigstens sie ihr gesagt hatte, dass Ivo zurück war, aber Sybil sah
ihre Stiefmutter erstaunt an. Offensichtlich hatte die doppelte Herzogin diese
Information für sich behalten.
Herzogin Fanny schlug die Hand vor
den Mund, als wolle sie sich entschuldigen. «0 nein, wie gedankenlos von mir!
Bestimmt habe ich nun seine Pläne durchkreuzt. Aber vielleicht ist das in Ihrem
Zustand gar nicht so schlimm. Was für ein Unglück, wenn vor der Ankunft von Sir
Julius irgendetwas passierte.» Ihre Stimme klang mitleidig, aber Cora sah das hämische
Funkeln in ihren Augen. Sie musste hier weg, um einmal durchzuatmen. Sie sagte
so ruhig sie konnte: «Es tut mir leid, aber ich muss euch bitten, mich zu
entschuldigen. Ich bin müde, und wenn Ivo jeden Moment kommen kann, würde ich
mich jetzt gern ausruhen. Vielleicht sind Sie so freundlich, Herzogin, Bugler
zu sagen, dass der Herzog erwartet wird. Ich bin sicher, dass die Bediensteten
ihn begrüßen wollen.» Sie stand unter Schmerzen auf, ihr Körper war schwer und
getroffen von diesem Schock. Sie biss sich auf die Lippe, um die Tränen zurückzuhalten,
die sie zu überwältigen drohten. Ivo war zurück, dies war der Augenblick, auf
den sie seit Monaten gewartet hatte, aber jetzt war alles verdorben. Sie ging
leicht schwankend die Galerie hinunter, im Ohr die Stimme der Herzogin.
«Oh, ich bin sicher, Bugler weiß es
bereits. Es ist geradezu unheimlich, was die Dienstboten alles spüren.» Herzogin
Fanny sah zu dem Diener auf, der mit verschwörerischem Lächeln die Creme
brûlée servierte. Doch die Hand des Dieners zuckte leicht, als die Herzogin mit
einem flinken scharfen Hieb die Karamellschicht durchbrach und den Löffel in
die Creme darunter stieß.
KAPITEL 22
Die
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