Daisy Goodwin
Diese riss
erschrocken den Mund auf, als es ihr einfiel, und senkte dann den Kopf.
«War das heute vor einem Jahr? Das
hätte ich fast vergessen. Dieser arme junge Mann, und dann auch noch so bald
nach dem Tod des alten Herzogs.» Sie schloss für einen Moment die Augen, und
als sie sie wieder öffnete, bemerkte sie, dass Bertha sie ansah.
«Sieht so aus, als müssten Sie rüber
nach Lulworth, Miss Cash.» Bertha zuckte innerlich zusammen, als sie den Namen hörte. Zwar hatte Mrs. Lawrence
ihr bei ihrer Ankunft erklärt, dass die Bediensteten, die zu Besuch waren, beim
Namen ihrer Dienstherren gerufen würden, aber es klang immer noch seltsam.
Die Hausdame fuhr fort: «Ihre Herrin
ist bei der Jagd gestürzt und liegt drüben in Lulworth danieder. Der Stallbursche
hat einen Brief für ihre Mutter gebracht. Mr. Druitt ist gerade oben und wartet
auf Antwort.» Als sie Berthas Gesichtsausdruck bemerkte, verfiel die Hausdame
in einen freundlicheren Ton. «Es wird ihr schon gutgehen. Sonst wäre der Herzog
selbst gekommen.»
Die Köchin kicherte glucksend.
«Sicher weicht er Miss Cash lieber gar nicht von der Seite. Es sind doch so
schrecklich viele Löcher im Dach des Schlosses.»
«Dann ist der Herzog nicht
verheiratet, Mrs. Lawrence?» Die Bemerkung der Köchin hatte Bertha das Gefühl
vermittelt,
sie dürfe diese Frage stellen. Aber sie wusste, dass sie vorsichtig zu sein
hatte, eine unschuldige Frage konnte leicht als Dreistigkeit ausgelegt werden.
Bald nach ihrer Ankunft hatte sie Lady Bridports Zofe gefragt, wie hoch ihr
Lohn sei, und man hatte ihr sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass dies ein
Fehler gewesen war. Als Zofe von Miss Cash gewährte man ihr im
Dienstbotenzimmer gelegentlich Vortritt – so durfte sie zum Beispiel vor den
Hausmädchen zum Abendessen gehen –, aber das bedeutete nicht, dass es ihr
erlaubt war, Fragen zu stellen. Mr. Druitt hatte sie beiseitegenommen und ihr
gesagt, dass solche Dinge wie Löhne vielleicht dort, wie sie herkam, ein
beliebtes Gesprächsthema seien, hier in England behalte man gewisse Dinge
jedoch für sich. Bertha hatte ihre Lektion gelernt.
Trotz dieser Zurechtweisung des
Butlers genoss Bertha ihren Aufenthalt in Sutton Veney. Zu Hause aß sie am unte
ren Ende des Dienstbotentisches zusammen mit den anderen farbigen Mädchen. Hier ging sie
jeden Abend am Arm des Kammerdieners von Sir Odo zum Dinner. Am ersten Abend
hatte sie sich in ihre Kammer zurückgezogen, aber Mrs. Lawrence hatte eins der
Hausmädchen hochgeschickt, um ihr zu sagen, dass sie im Dienstbotenzimmer benötigt werde. Jim, der Kammerdiener,
war rot geworden, als Mr. Druitt ihm gesagt hatte, er solle Miss Cashs Zofe zum Dinner führen. Die Unterhaltung beim
Essen hielt sich in Grenzen, da Mr. Druitt gerne große
Reden schwang, aber jedes Mal, wenn Bertha in Jims Richtung blickte, schaute
er sie gerade an. Er war recht
stattlich und sah aus, als wäre er an der frischen Luft aufgewachsen,
im Gegensatz zu vielen anderen Bediensteten, deren fahle Gesichtsfarbe die
Vermutung nahelegte, sie hätten ihr
ganzes Leben unter der Erde verbracht. Seit diesem ersten Tag hatte Jim jeden
Abend auf sie gewartet, um sie zum Dinner zu führen, und es kam täglich zwei-
oder dreimal vor, dass sie sich auf der Dienstbotentreppe zufällig begegneten.
Bertha sah die zwei Frauen an und
wartete darauf, von ihnen für ihre Frage getadelt zu werden. Aber die Köchin
schien im Gegenteil erfreut über die Gelegenheit, ihrer Rivalin, der
Haushälterin, die Schau zu stehlen.
«Nun, der neue Herzog ist
Junggeselle. Ich habe, bevor ich hierherkam, in der Küche von Lulworth
gearbeitet. Sklavenarbeit war das. Sie kochen dort immer noch über einem
offenen Herd, und zum Abendessen sind es vierzig Leute. Hier ist alles besser,
auch wenn Lord Bridport immer fragt, was aus dem Braten von gestern geworden ist.
Ich war noch drüben, als Miss Charlotte nach Lulworth kam. Sie und Lord Ivo
waren ständig zusammen. Sie haben Bogenschießen gemacht. Bevor sie zu einem
Ausflug aufgebrochen sind, kamen sie immer runter in die Küche
und haben nach Essen gefragt, das sie mitnehmen können. Hätte Miss Charlotte
Geld gehabt, wäre sie eine wunderbare Herzogin geworden, eine Schande.»
«Noch Tee, Mrs. James?», unterbrach
die Haushälterin sie, der es offensichtlich gar nicht gefiel, dass die Köchin
über den Herzog so viel mehr wusste als sie.
Bertha
griff sich ihren Arbeitskorb und nahm die Hintertreppe zu Coras Zimmer. Das
Zimmer befand
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