Daisy Goodwin
trat sie immer schneller in die Pedale
und spürte, wie der Wind ihr in die Haare fuhr und ihre Tränen trocknete. Teddy
hatte recht gehabt, sie fühlte sich frei. Wenn sie ausritt, musste ein
Stallbursche sie begleiten, aber für Fahrräder gab es keine Regeln – sie konnte
einfach davonfahren.
Damit hatte alles angefangen.
Cora schlotterte ungeduldig. «Ich
weiß, du findest das lächerlich, aber es wäre doch schrecklich zu denken, dass
ich hübsch bin, wenn ich es in Wirklichkeit gar nicht bin. Ich wäre nicht
besser als diese entsetzlichen englischen Mädchen, die sich für so betörend
halten, obwohl sie aussehen wie Karrengäule mit geblähten Nüstern und hervortretenden
Augen.»
«Und so reich wie Sie sind sie auch
nicht, Miss Cora», sagte Bertha scharf.
«Aber warum hat der Herzog mich dann
seit ganzen drei Tagen nicht mehr besucht? Er muss doch wissen, dass ich mich
hier zu Tode langweile. Nicht einmal Mutter war regelmäßig bei mir. Aus den
Augen, aus dem Sinn.»
«Ich finde, Madam wirkt wieder ganz
wie früher, seit wir hier sind. Sie ist nicht zu Tode gelangweilt. Sie trug das
Diamantencollier mit den Saphiren, das der Herr ihr geschenkt hat. Das habe
ich nicht mehr an ihr gesehen seit ...»
Cora hob eine Hand. Sie hasste es,
wenn dieser Abend erwähnt wurde. Vor allem im Moment. Der Abend in Newport
hatte so gut angefangen, sie und Teddy waren so kurz davor gewesen
übereinzukommen – und dann hatte sich innerhalb einer Sekunde alles verändert,
aus dem hoffnungsvollen Moment war eine Katastrophe geworden. Selbst jetzt,
als Bertha beim Frisieren aus Versehen ihre Haare versengte, spürte sie den
Zorn wieder in sich aufsteigen, weil sie an den furchtbaren Gestank der
brennenden Haare ihrer Mutter denken musste.
Sie
erinnerte sich, wie Mrs. Cash nach einem Spiegel gefragt hatte, als die
Verbände abgenommen worden waren. Cora hatte ihren Handspiegel mit dem
Schildpattrücken geholt, der einmal Marie Antoinette gehört hatte. Ihre Hand
zitterte, als sie ihn ihr reichte, sie wollte nicht sehen, wie ihre Mutter auf
ihr verwüstetes Gesicht reagierte, aber Mrs. Cash zuckte nicht mit der Wimper,
als sie sah, was die Flammen angerichtet hatten. Mrs. Cash hatte dieses unvertraute
Antlitz mit derselben frostigen Teilnahmslosigkeit betrachtet wie die
Schwärmerei ihres Mannes für die Oper. Abgesehen davon, dass sie die dunkle
Seite ihres Gesichts sorgsam mit Tüll verhüllte, machte Mrs. Cash keine Zugeständnisse
an ihr Unglück, und sie hatte sich selbst und andere so sehr unter Kontrolle,
dass Fremde, die sie traf, ihr in die Augen sahen und nicht auf den mysteriösen
Schleier. Später wunderten sie sich vielleicht und stellten diskrete Fragen,
auf die sie als Antwort ein Flüstern erhielten. Irgendein Unfall beim
Debütantinnenball ihrer Tochter, ihr Kopf eine flammende Kugel – «Cashs Komet»
nannten die New Yorker Witzbolde sie von nun an. Nur dank Teddy Van Der Leyden
war sie nicht ganz und gar gegrillt worden. Eine traurige Geschichte, aber
niemand, der je die Bekanntschaft mit Mrs. Cashs diamantenharter Beherrschung
gemacht hatte, hätte die Kühnheit besessen, so
etwas wie Mitleid für sie zu empfinden.
Ihre Mutter hatte die Szene, deren
Zeugin sie auf der Terrasse geworden war, ehe ihr Kleid Feuer gefangen hatte,
nie erwähnt, und Cora sah keinen Anlass,
das Gespräch darauf zu bringen. Es war möglich, dass der Schock Mrs. Cashs Erinnerung an die Minuten, die dem
Unfall vorausgingen, in Mitleidenschaft gezogen hatte – möglich, aber nicht
wahrscheinlich. Cora vermutete, dass ihre Mutter sich an jede Einzelheit erinnerte, aber
beschlossen hatte, ihren Erinnerungen so lange keine Beachtung zu schenken,
wie es ihr gefiel. Es war falsch, die Tatsache, dass
Teddy ihr das Leben gerettet hatte, ebenfalls nicht zu
beachten, aber Cora konnte nur Erleichterung darüber empfinden, dass ihre
Mutter beschlossen hatte, ihr keine Schuld zu
geben. Es war schwer genug, der Möglichkeit ins Auge zu blicken, dass es ihre
Schuld gewesen war. Sie konnte nicht anders, sie hatte das Gefühl, der Kuss sei
der Funke gewesen, der ihre Mutter in Brand gesetzt hatte.
Nach dem Vorfall hatte sie
sich widerstandslos im Windschatten ihrer Mutter bewegt. Es war nutzlos, sich
der Fahrt nach
Europa, den nächtlichen Konsultationen von Debrett und The American Titled Lady und dem Engagement von Mrs. Wyndham zu widersetzen. Nichts, so schien es,
konnte ihre Mutter daran hindern, die perfekte Partie für sie zu
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