Daisy Goodwin
eine Überraschung sein, also mach die
Augen zu.»
«Hast du
dadrin den Heiligen Vater versteckt, oder den Heiligen Gral? Wirklich, Cora,
wir machen noch eine Katholikin aus dir.»
«Schsch, nichts sagen, jetzt schließ
die Augen und komm.»
Endlich machte Ivo die Augen zu, und
sie führte ihn in die Kapelle.
Die
Jungfrau mit Kind sah wunderschön aus im Kerzenlicht. Cora fand sich großartig
und gerissen, fast hatte sie das Gefühl, platzen zu müssen; sie gab Lulworth
seine Pracht zurück.
«Jetzt kannst du die Augen
aufmachen.» Sie wandte sich von dem Gemälde ab, um Ivos Gesicht zu sehen.
Er öffnete die Augen und sah sich
verwundert um, und dann erblickte er den Rubens und betrachtete das Bild ganz
ruhig und mit einem Ausdruck, den Cora nicht zu deuten vermochte. Sie wartete
darauf, dass sich Überraschung und Freude auf seinem Gesicht zeigten. Als er
gar nichts tat, nur schaute, dachte sie, er wüsste vielleicht nicht, worum es
sich handelte.
«Es ist ein Rubens, weißt du, wie
der, den ihr vorher hattet.»
Immer noch blieb Ivo stumm. Sie
legte eine Hand auf seinen Arm, aber er rührte sich nicht. Er starrte das Bild
an, mit vollkommen unbewegtem Gesicht. Seine Muskeln unter ihrer Hand waren
angespannt. Ein Teil von ihr wusste, dass sie sich still verhalten sollte, aber
ein anderer Teil wollte am liebsten schreien. Dies war ihre Überraschung, und
er übernahm seine Rolle nicht.
Sie zwang sich zu warten und
beobachtete, wie an einer Kerze heißes Wachs hinunterlief. Als die Tropfen fest
geworden waren, sagte sie schließlich wieder etwas.
«Ich habe versucht, den anderen
Rubens wiederzubekommen, den, der vorher hier hing, den mit der heiligen
Cecilia, aber der Mann, der ihn gekauft hat, war Amerikaner ...»
«Und er
brauchte das Geld nicht», sagte Ivo ausdruckslos, es war eine Aussage, keine
Frage. War es möglich, dass er sich ärgerte, weil sie nicht in der Lage gewesen
war, das ursprüngliche Bild wiederzubeschaffen?
«Ich habe das Bild von der heiligen
Cecilia natürlich nicht gesehen, aber Mr. Fox, der das Bild von Duveen
hergebracht hat, kennt es, und er findet, dass die Jungfrau Maria hier noch
viel besser herpasst.»
«Es ist ein schönes Bild», sagte Ivo
immer noch ausdruckslos.
«Rubens hat
seine Frau und sein Kind als Modelle genommen.» Sie trat näher an das Gemälde
heran. Jedes Mal, wenn sie es betrachtete, sah sie noch mehr. In der unteren
rechten Ecke war ein Obstkorb zu sehen, mit Trauben und Pflaumen. Einige
Trauben waren schon gegessen worden. Hinter der rechten Schulter der Jungfrau
befanden sich Bäume, die den Blick auf eine ländliche Landschaft freigaben, die
grün und kühl wirkte. Unter dem roten Kleid der Madonna waren violette Ärmel
aus Damast zu sehen. Sie überlegte, ob sie sich ein Kleid in genau diesen
Farben machen lassen sollte, wenn ihr Baby auf der Welt war.
«Sieh dir
mal die Hand des Kindes an, Ivo. Wie es sich an seiner Mutter festhält.» Sie
streckte die Hand nach ihm aus, damit er zu ihr nach vorne kam.
Aber Ivo
rührte sich nicht von der Stelle.
«Ich kenne
das Bild.»
Cora war erstaunt. «Wirklich? Aber
woher? Duveen sagte, es sei noch nie auf dem Markt gewesen.»
«Nein, war
es auch nicht.»
«Aber wie kannst du es dann ...»
Cora unterbrach sich, als ihr klarwurde, wo Ivo das Gemälde gesehen haben
musste.
«Es war zweihundert Jahre lang im
Besitz der Familie Kinsale. Es hing in ihrer Kapelle.»
«Mir war nicht klar, dass du die
Besitzer kanntest.» Cora wurde kalt. «Aber spielt das eine Rolle, Ivo? Sie
brauchten das Geld. Sie haben einen guten Preis bekommen, und jetzt hast du
wieder einen Rubens über dem Altar.»
Ivo hob die Arme. Einen Augenblick
lang dachte Cora, er würde sie umarmen, aber dann ließ er sie sinken und
verfiel wieder in Schweigen.
«Ivo, was ist denn? Ich dachte, es
macht dich glücklich. Dir lag doch an dem anderen Bild so viel, das weiß ich.»
Cora versuchte vor lauter Verzweiflung, ihren Schuh in den Steinfußboden zu
bohren.
«Natürlich lag mir daran! Aber Cora,
du kannst nicht alles wiedergutmachen, indem du einfach ein neues Bild kaufst.
Der Rubens von Lulworth hing hier seit dem Vierten Herzog. Wenn ich in die
Kapelle gekommen bin, musste ich immer an all meine Vorfahren denken, die schon
unter demselben Gemälde gekniet und
dieselben Worte gesprochen haben. Und jetzt hängt die heilige Cecilia in
Kalifornien, und wir haben dank der Liebenswürdigkeit meiner sehr reichen Frau
einen neuen Rubens.» Er sah
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