Daisy Goodwin
Absicht, Ihnen zu schmeicheln,
das versichere ich Ihnen. Geschmeichelt wird Ihnen sicher woanders schon
genug. Nein, wenn ich sage, ich möchte Sie malen, sage ich das nicht, um an
Ihre Eitelkeit zu appellieren, sondern an Ihr Interesse an der Wahrheit. Ich
denke, Sie wollen lieber gesehen werden statt immer nur angeguckt. Habe ich
recht?» Sein Blick hielt, während er sprach, ununterbrochen den ihren. Sie
spürte, wie ihr Herz raste. «Das klingt sehr ...», Cora
versuchte, das richtige Wort zu finden, «... vertraulich. Ich hoffe, ich halte
Ihrer Überprüfung stand.»
«Wenn Sie eine ganz genaue
Wiedergabe wünschen, können Sie zu einem Fotografen gehen. Ich werde Sie nicht
so malen, wie Sie sind, sondern so, wie ich Sie sehe.» Louvain kniff wieder
leicht die Augen zusammen, als sähe er das Bild im Geiste bereits vor sich.
«Und was
sehen Sie?», fragte sie leise.
«Das kann ich Ihnen nur mit Hilfe
meiner Pinsel sagen, Herzogin. Ich möchte meine Gedanken nicht in Worte fassen.
Ich versuche, meine Eindrücke so lange wie möglich als Farben, Licht und
Schatten zu belassen.»
«Ich verstehe», sagte Cora. Sie
hätte gerne eine aussagekräftigere Antwort gehört.
«Wenn Sie ins Studio kommen, tragen
Sie etwas Schlichtes. Ich möchte Sie malen, nicht den ganzen Wirbel,
der Sie umgibt. Sollen wir Montagmorgen sagen?» Louvain redete, als gäbe es
keinen Zweifel daran, dass sie zur Verfügung stand.
Cora wusste, dass sie den Dingen
nicht ohne vorherige Prüfung ihren Lauf lassen sollte. «Ich bin nicht sicher,
ob das bei mir passt, Mr. Louvain. Möglicherweise kehre ich nächste Woche nach
Lulworth zurück.»
«Sie wollen sich um diese Jahreszeit
auf dem Land verstecken? Doch bestimmt nicht. Nein, Sie müssen am Montag in mein Studio kommen», sagte
Louvain bestimmt. «Und neigen Sie den Kopf nicht auf diese Weise. Ich möchte
eine Frau malen, keine Herzogin.»
Cora wehrte sich. «Wirklich, Mr.
Louvain, ich kann doch nicht mein ganzes Leben nach Ihren Launen ausrichten»,
sagte sie so hochmütig sie konnte.
Louvain öffnete die Arme und sagte
flehend: «Bitte, Herzogin. Ich brauche für den Anfang nicht mehr als eine Woche.»
Cora hob eine Augenbraue. «Sie
arbeiten sehr schnell, Mr. Louvain.»
Louvain zog eine Uhr aus seiner
Westentasche und sagte nach einem Blick darauf: «Old Church Street vierunddreißig,
um elf Uhr. Kommen Sie nicht zu spät, sonst habe ich zu wenig Licht. Und
vergessen Sie nicht, tragen Sie etwas Schlichtes. Auf Wiedersehen, Herzogin.»
Und damit ging er.
Cora wollte über diese Begegnung
nachdenken und überlegte, aus dem Zimmer zu schlüpfen, aber ehe sie sich auch nur bewegen konnte, sah sie Sir
Odo auf sich zukommen, am Arm eine Frau in einem eng anliegenden grünvioletten
Kleid, unter dem sie, wie Cora sehen konnte, kein Korsett trug.
«Herzogin, Sie müssen Beatrice
Stanley kennenlernen. Sie ist Schauspielerin und hat letztes Jahr in Eine Frau
ohne Bedeutung gespielt. Sie hat
versprochen, uns später etwas vorzutragen. Sehr aufregend.» Cora streckte die
Hand aus, sie hatte die englische Sitte, sich zu verneigen, immer noch nicht
verinnerlicht. Die Schauspielerin drückte ihr träge die Hand. Sie hatte einen
sehr langen weißen Hals, auf dem ihr kleiner Kopf mit der Wolke dunkler Haare
bedenklich schwankte. Ihre dunklen Augen, die Cora schwermütig ansahen, waren
riesig.
«Ich freue mich, Sie kennenzulernen,
Mrs. Stanley», sagte Cora. «Leider bin ich zu spät nach London gekommen, um das
Stück sehen zu können, aber ich hoffe, ich sehe Sie bald einmal auf der Bühne.»
«Es wird im nächsten Jahr zwei neue
Stücke von Mr. Wilde geben, Sie werden also
nicht allzu lange warten müssen», antwortete Mrs. Stanley ungerührt.
Cora schwieg ratlos. «Wissen Sie,
dass ich noch nie eine Schauspielerin kennengelernt habe?»
«Tatsächlich? Dann bin ich im
Vorteil, denn ich habe schon zahlreiche Herzoginnen kennengelernt, allerdings
noch keine amerikanische.» Nachdem Mrs. Stanley dafür gesorgt hatte, dass sie
die Oberhand hatte, lächelte sie Cora an. «Gefällt Ihnen England, oder sollte
ich lieber nicht danach fragen?»
«Was ich bisher davon kenne, gefällt
mir sehr, aber es gibt immer noch viel zu sehen», sagte Cora.
«Waren Sie
schon in Die zweite Mrs. Tanqueray? Es ist die Aufführung der Saison,
Mrs. Pat spielt die Hauptrolle.» Die Schauspielerin wedelte träge mit dem Arm.
«Nein, noch
nicht, aber jetzt, da Sie es empfohlen haben, werde ich den Herzog zwingen,
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