Daisy Goodwin
nicht verstand, aber jedes Mal, wenn
er sie berührte, fühlte sie sich ganz eins mit ihm. Sie sah ihn im Spiegel des Frisiertisches
an. Sein schmales Gesicht wirkte sanft, nicht so kantig wie manchmal, wenn er
streng und unnachgiebig war.
Ivo pfiff noch ein paar Takte aus
dem Mikado. Cora versuchte, ihm im Spiegel in die Augen zu sehen.
«Weißt du, mir ist heute
klargeworden, wie wenig ich über dich weiß», sagte sie.
Ivo begann zu singen. «Drei kleine
Schulmädchen sind wir, angefüllt mit Fröhlichkeit, drei kleine Schuuul-määdchen.»
Cora bohrte weiter. «Ich meine, ich
weiß überhaupt nichts über deine Kindheit oder deine Jugend oder darüber, wie
du gelebt hast, ehe du mich kennenlerntest.» Sie nahm seine freie Hand und
küsste sie. Ivo bürstete immer noch ihr Haar mit leuchtenden Augen.
«Aber Cora, ehe ich dich
kennenlernte, war ich gar nichts. Nur ein Name mit einer Herzogskrone. Möchtest
du wirklich alles über Nanny Hutchins
wissen, die getrunken hat, und über Nanny Crawford, die nicht getrunken hat?
Oder darüber, wie ich in Lulworth einen Stein ins Gewächshaus geworfen habe und
vom Gärtner um den ganzen Teich gejagt wurde? Oder wie Guy und ich tagelang
das Parkett abgeklopft haben, auf der Suche nach dem Priesterloch mit der
Geheimtreppe, die zum See führt? Oder über den Tag, an dem der Zweite Butler die Schlüssel
für den Keller bekommen hat und sich dort so betrunken hat, dass er am Morgen um zwei Uhr zu meiner Mutter ins
Bett geklettert ist?
Oder über meine Unfähigkeit,
lateinische Texte zu übersetzen, für die ich geschlagen worden bin, oder über
mein erstes Pony oder meinen geliebten Hund
Tray, der gestorben ist, oder über meine Kommunion oder mein erstes Eis ...»
Während er sprach, bürstete er Coras Haar immer heftiger und schneller, sodass es sich mit
Elektrizität auflud. Sie hob die Hände, griff nach seinem Arm und musste
lachen.
«Ivo! Das reicht. Mein Kopf
explodiert gleich», sagte sie in übertriebener Verzweiflung.
«Aber ich
dachte, du willst alles über mein früheres Leben erfahren», sagte Ivo
vorwurfsvoll. Er befreite sich von ihren Händen und bürstete weiter, wenn auch
etwas sanfter.
Cora war
dankbar für den Spiegel, es war irgendwie leichter, mit seinem Spiegelbild zu
sprechen. Sie sagte vorsichtig: «Ich möchte alles wissen, auch die Dinge, die
du mir nicht erzählen magst.»
«Zum Beispiel?» Ivo hörte auf zu
bürsten und sah sie mit hochgezogener Augenbraue an.
Cora überlegte, ob sie es gut sein
lassen sollte, aber dann dachte sie an die Schauspielerin ohne Korsett und fuhr
fort: «Na, deine vergangenen ...» – sie rang nach dem richtigen Wort – «...
Liaisons. Ich meine, ich bin nicht so naiv anzunehmen, dass es in deinem Leben
keine Frauen gab, ehe du mich getroffen hast.»
«Frauen, Euer Gnaden? Allein der
Gedanke!» Ivo hob entsetzt die Hände.
Cora ließ immer noch nicht locker,
aber sie redete mit freundlicher, heller Stimme. «Es ist nur – wenn ich nichts
von ihnen weiß, stehe ich ganz dumm da. Es war demütigend heute bei den
Beauchamps.»
Ivo hielt einen Moment inne und
bürstete dann an einer besonders empfindlichen Stelle ihrer Kopfhaut zu kräftig
weiter. Er hatte aufgehört zu pfeifen.
«Warum denn
das?», sagte er ruhig.
Cora wagte es nicht, ihm im Spiegel
in die Augen zu sehen. «Weil Odo Beauchamp mich Mrs. Stanley vorgestellt hat,
und natürlich wussten alle außer mir, dass du mit ihr mal ... befreundet warst.» Jetzt
wagte sie ihn anzusehen und stellte zu ihrer Verwunderung fest, dass er
überhaupt nicht ärgerlich aussah, er wirkte sogar erleichtert.
«Du hast also Beatrice
kennengelernt.» Er bürstete sie jetzt wieder in langen, rhythmischen Strichen.
«Sie war mal sehr freundlich zu mir.»
Cora sah ihn scharf an. Etwas zerknirschter
könnte er ruhig reagieren, fand sie. Sie drehte sich zu ihm um. «Ich bin ganz
sicher, dass sie zu dir sehr freundlich war, aber heute hat sie mich
gedemütigt.»
Ivo sah sie
aufrichtig erstaunt an. «Also ehrlich, Cora, ich weiß nicht, warum du dich
gedemütigt fühlen solltest. Du bist eine Herzogin, die alles hat – Jugend,
Schönheit und alles, wovon man nur träumen kann. Beatrice dagegen ist fast
vierzig, hat keinen bemerkenswerten Ehemann und eine ungewisse Zukunft. Es tut
mir leid, wenn du dumm dagestanden hast, aber ich glaube, sie ist diejenige,
die Mitleid verdient.»
Ivo klang unerwartet ernst. Cora
verstand nicht, warum er Partei für die andere Frau
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