Daisy Sisters
Dass da draußen einer auf der Straße steht? Nein, aber sie ist sich fast sicher, dass er da stand und zu ihrem Fenster hinaufsah, dass er auf irgendeine Weise Kontakt mit ihr suchte.
Da ist noch etwas anderes. Sie versteht es genau in dem Moment, als sie die Sicherheitskette vorlegt. Da war etwas Bekanntes an der Art des Mannes, sich zu bewegen, die Achseln hochzuziehen, als er verschwand. Sie setzt sich aufs Sofa und zündet sich eine Zigarette an. Die Glut leuchtet in der Dunkelheit.
Wer war er?
Sie kommt nicht darauf und will am liebsten glauben, dass alles Einbildung war. Sie hat keine Feinde, wer sollte ihr nachspionieren? Kalle, der Lastwagenfahrer, war es nicht, da ist sie sicher.
Aber wer sonst?
Am nächsten Morgen hat sie ihn vergessen. Sie ist so müde, dass sie schwankt, als sie aufsteht, um das Frühstück für die Kinder zu bereiten. Außerdem ist Lindas einer Turnschuh verschwunden. Ein Morgen mit Geschrei und Streit. Als die Kinder endlich aus der Tür sind, ist sie so spät dran, dass sie nicht einmal mehr eine Tasse Kaffee trinken kann.
Draußen herrschen Regen und Wind, und sie fragt sich unruhig, ob Staffan und Linda nicht viel zu dünn angezogen zur Schule gegangen sind. In der Straßenbahn nickt sie ein, und als sie endlich in Torslanda angekommen ist, bittet sie Berit, sie in einer Viertelstunde zu wecken. Sie schließt sich in der Personaltoilette ein, setzt sich auf den Sitz, lehnt den Kopf gegen die Wand und schläft …
Berit schlägt an die Tür. Es ist Dienstag, Charterflüge nach Lanzarote und Mallorca stehen an, der Kaffeeautomat macht Scherereien, niemand scheint etwas anderes als Hunderter zum Bezahlen zu haben. Durch die Lautsprecher bekommen die Reisenden Bescheid über ihre Verspätung, und Eivor und Berit stöhnen. Aber kein Tag währt ewig. Es wird zwei Uhr, und Anna und Birgit kommen und übernehmen.
Raus in den Matsch. Eivor fährt nach Hause. Heute gibt es nur Würstchen mit Kartoffelbrei zum Abendbrot, das müssen die Kinder respektieren.
»Es sind Blumen für dich gekommen«, sagt Linda, als sie im Flur steht.
»Aha«, sagt sie. »Wo ist Staffan?«
»Er spielt Tischtennis.«
Sie ist wirklich sehr müde. Es ist doch Dienstag, sein Tischtennistag, an dem er bei seinem besten Freund Niklas isst. Also sind die Würstchen und der Kartoffelbrei nur für Linda. Was hat sie gesagt? Blumen?
Eivor hängt den durchnässten Mantel auf, zieht die Stiefel aus (sie müsste sich neue kaufen, denkt sie, und gerne mit etwas höherem Absatz!) und geht ins Wohnzimmer.
Auf dem Tisch liegt ein Blumenkarton. Sie öffnet ihn verwundert, und Linda steht mit neugierigen Augen daneben.
Ein Strauß in Gelb und Rot. Aber keine Karte.
»Von wem sind die?«, fragt Linda.
»Ich weiß nicht«, sagt Eivor. »Wer hat sie abgegeben?«
»Sie hingen an der Tür, als ich nach Hause kam. Warum bekommst du Blumen und weißt nicht, von wem?«
Das ist eine gute Frage, das kluge Kind.
Sie schaut Linda an und schüttelt den Kopf. »Ich habe wohl einen heimlichen Verehrer«, sagt sie. »Aber schön sind sie.«
»Soll ich sie in eine Vase tun?«
»Ja, und stell sie in euer Zimmer. Ich mache gleich Essen.«
»Was gibt es?«, ruft Linda aus der Küche, wo sie auf einen Stuhl geklettert ist, um an die Blumenvase zu kommen.
»Würstchen mit Kartoffelbrei.«
»Toll! Da wird Staffan mächtig sauer sein.«
Eivor schluckt.
Wer hat ihr Blumen geschickt?
Es wird Abend. Die Kinder sind im Bett, und Staffan ist endlich zur Ruhe gekommen, nachdem es ihm gerade an diesem Tag gelungen ist, den Besten seiner Jahrgangsklasse in zwei Sätzen zu schlagen. Das ist ein aufregender Triumph für einen Elfjährigen, ein Triumph, der die gewöhnliche Abendmüdigkeit in die Flucht schlägt. In dem Moment, als sie an Flucht denkt, ahnt Eivor, woher die Blumen gekommen seinkönnten. Ein Gedanke, der sie bedrückt. Denn an diesem Abend steht wieder der dunkel gekleidete Mann unten auf der Straße.
Sie denkt, dass sie auf die Straße hinuntergehen und feststellen sollte, wer er ist. Oder vielleicht bei Anderssons klingeln und den Nachbarn bitten, mit hinunterzukommen. Er arbeitet auf Eriksbergs Werft und scheint ziemlich unerschrocken. Aber … Nein, das geht nicht …
Die Broschüren und Leitfäden bleiben liegen. Sie versucht fernzusehen, aber das ist unmöglich, solange er da unten auf der Straße steht.
Soll sie die Polizei rufen? Aber was soll sie sagen? Sie würden sie auslachen …
Sie steht im dunklen
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