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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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aber vor der Tür stehen. Das wird jetzt zu viel. Ein Mann auf der Straße vor ihrem Haus, Blumen ohne Absender, eine tote Telefonleitung. Wer schleicht da um sie herum?
    Sie klopft an Enokssons Tür und geht wieder hinein. Er sitzt an seinem überfüllten Schreibtisch und reinigt sich die Nägel.
    »Hat er wirklich nichts gesagt?«, fragt sie.
    »Leider nicht. Aber vielleicht können Sie ihn bitten, in Zukunft außerhalb der Arbeitszeit anzurufen.«
    Idiot! Als ob sie wüsste, wer das war! Hätte sie keine Kinder, so würde sie sofort kündigen, es wie der Jugoslawe Bogdan machen, ihm einen dreckigen Lappen ins Gesicht schleudern.
    »War sonst noch was?«, fragt er.
    Sie antwortet nicht, geht einfach raus und knallt die Tür hinter sich zu.
    Berit sitzt an der Kasse und schaut amüsiert.
    »Ist Onkel David nicht nett zu dir?«, fragt sie.
    »Er ist ein verdammter Scheißkerl«, antwortet Eivor.
    »So etwas darf man doch wohl nicht über seinen Chef sagen …«
    Berit lacht und wendet sich zu einem Kunden, während Eivor den Geschirrwagen zwischen den Tischen hindurchschiebt und abräumt. Sie und Berit wechseln sich ab, ein Tagan der Kasse, ein Tag zwischen den Tischen. Eivor stapelt die Teller und wischt die Tischplatten sauber. Hinter ihr geben die Lautsprecher schmetternd die verspätete Landung eines Flugzeugs aus Malmö bekannt.
    Am Abend, als die Kinder schlafen und sie sich zum Fenster wagt, ist der Mann nicht da. Das Phantom ist offensichtlich verschwunden. Lange steht sie da und schaut …
    Viel zu spät reagiert sie auf den Tabakgeruch. Sie ist so versunken in die nächtliche Straße, dass sie den Geruch von Tabak im Zimmer nicht bemerkt hat. Erst als plötzlich eine dünne Rauchfahne durch das undichte Fenster zieht, begreift sie, dass jemand hinter ihr im Wohnzimmer steht. Jemand, der lautlos durch die Wohnungstür eingedrungen ist.
    Die Kinder, denkt sie verzweifelt und dreht sich um, bereit, dem Tod ins Gesicht zu sehen …
    Er lehnt am Türpfosten, das Licht aus dem Flur hat sein Gesicht in Halbschatten gelegt. (Viel später wird sie denken, dass dieser Mann offensichtlich immer das Dunkel und den Schatten als Aufenthaltsort wählt, immer auf dem Sprung.)
    »Ich wollte dich nicht erschrecken«, sagt er mit leiser Stimme. Da weiß sie, wer er ist, und ihr ist unverständlich, dass sie es nicht eher begriffen hat.
    Lasse Nyman. Nach sechzehn Jahren.
    »Ich wollte dich nicht erschrecken«, sagt er wieder. »Aber ich konnte nicht anders.«
    Er geht zum Tisch, völlig lautlos, wie eine Katze auf unbekanntem Terrain. Er bückt sich und drückt die Zigarette im Aschenbecher aus, und sie entdeckt eine Tätowierung an seinem Arm, direkt unter dem Uhrenarmband.
    Dann sieht er sie an und lächelt. Auch das kennt sie wieder, den Schmerz, der auf seinem Gesicht liegt, die weiße Maske, das gequälte Lächeln.
    »Du wunderst dich, wie ich hereingekommen bin?«, sagter mit seiner leisen Stimme. »Oder wie ich dich hier entdeckt habe? Das werde ich dir sagen. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin nicht gefährlich. Kann ich mich setzen?«
    Sie nickt und schaut ihn an. Das Haar ist kürzer, nicht mehr fettig, ein hübscher Schopf. Dunkelblaue Jeans, grüne Stiefel, ein dicker Pullover mit Polokragen, eine schwarze Popelinejacke. Er ist kräftiger geworden, aber das Gesicht ist noch genauso mager wie vor sechzehn Jahren. Die scharfen Wangenknochen, die schmalen Lippen, Augen, die einen Punkt irgendwo über ihrem Kopf fixieren. Das ist Lasse Nyman, aus der Vergangenheit zurückgekehrt.
    »Es ist lange her«, sagt er. »Kannst du dich nicht setzen? Ich bin nicht gefährlich. Ich wollte dich nicht erschrecken.«
    »Die Blumen«, sagt sie, und er nickt.
    »Der Anruf?«
    »Das auch. Aber ich bekam Angst, dass du mich nicht treffen wolltest, darum habe ich aufgelegt.«
    »Warum hast du da unten auf der Straße gestanden?«
    Er überlegt, ehe er antwortet. »Wärst du verheiratet gewesen, wäre ich nicht gekommen«, sagt er. »Das musste ich wissen, bevor ich dich aufsuchte. Ich brauchte vielleicht auch etwas Mut. Eine kleine moralische Stärkung dadurch, dass ich da unten stehe und friere. Man hat Gelegenheit, eine Menge zu denken. Und sich zu erinnern …«
    Sie knipst eine Lampe an, setzt sich auf einen Stuhl und versucht, sich klar zu werden, ob er wirklich ist oder nicht. Der Autodieb, der Mörder … Plötzlich meint sie, einen Friedhof und einen Grabstein vor sich zu sehen. Eine windgepeitschte Dorfkirche und dort,

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