Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
Vom Netzwerk:
stellen, und zwar die richtigen: Das war ihr Job. Selbst die besten, aufrichtigsten Zeugen waren wie Züge, die man aufs entsprechende Gleis setzen musste, weil sie sonst in die falsche Richtung abdampften.
    »Frau Virmakowa?«, sagte Mona und trat ans Sofa zu der Frau mit den überdimensionierten Turnschuhen, die überhaupt nicht zu ihrem einfachen grauen Kleid und den stämmigen, mit hautfarbenen Nylons bestrumpften Beinen passten. Die Frau drehte ihren Kopf in Monas Richtung, und Mona sah in überraschend helle, sehr blaue Augen, die nichts Ängstliches an sich hatten, eher etwas Schalkhaftes: Ganz offensichtlich hatte sie sich von dem Schock ganz gut erholt. Mona setzte sich auf den Rand des Sofas und lächelte die Frau an. »Sind Sie Frau Virmakowa?«
    Die Frau nickte, den Blick unverwandt auf Mona gerichtet.
    »Können wir miteinander reden, oder sind Sie noch zu müde?«, fragte Mona. Sie hatte nach der Unterhaltung mit Bauer noch schnell mit der Klinik telefoniert, in der Plessen lag, und erfahren, dass es keine Veränderung gab. Plessen war bewusstlos, sein Zustand kritisch. Ihn hatten zwei Kugeln, eine im Knie und eine unterhalb des Herzens, getroffen. Die Wunden an sich waren also nicht lebensgefährlich, aber Plessen hatte viel Blut verloren, und er war kein junger Mann mehr, der solche Verletzungen locker wegsteckte. »Es ist gut möglich, dass er nicht mehr aufwacht«, hatte der Arzt gesagt. »Es ist genauso möglich, dass er sich wieder komplett erholt. In seinem gegenwärtigen Zustand können wir ihn jedenfalls nicht operieren, und das ist schon mal schlecht.« »Okay«, hatte Mona gesagt, und anschließend die beiden Schupos angerufen, die vor seinem Zimmer Wache hielten. Sie hatten ihr versprochen, Bescheid zu sagen, sobald Plessen ansprechbar sein würde.
    »Mir geht es gut«, sagte Olga Virmakowa mit tiefer, ein wenig brüchiger Stimme und starkem, osteuropäischem Akzent. Sie legte ihre warme, etwas verschwitzte Hand auf Monas und machte Anstalten, sich aufzusetzen. »Wie geht es Ihnen?«, fragte sie Mona, als handle es sich hier um einen Höflichkeitsbesuch. Vielleicht war sie seelisch doch angeschlagener, als sie aussah.
    »Gut, danke«, sagte Mona, entschlossen, keine weitere Zeit zu verlieren. »Und bleiben Sie ruhig liegen. Sie müssen nicht aufstehen, nur weil ich da bin.«
    »Kann ich? Ich bin sehr erschöpft.«
    »Natürlich, das macht gar nichts. Ich habe gehört, Sie haben mit meinem Kollegen gesprochen, Patrick Bauer.«
    »Ja. Er war sehr nett.«
    »Ja, das stimmt. Frau Virmakowa, wie mir Herr Bauer gesagt hat, haben Sie den Täter nicht deutlich sehen können, und...«
    »Nein. Nicht deutlich. Zu aufgeregt, zu viel Angst. Gleich wieder die Treppe heruntergelaufen, damit er sieht mich nicht.«
    »Würden Sie ihn wiedererkennen?«
    Ein Ausdruck von Angst lief über das Gesicht der Frau. Sie antwortete nicht.
    »Bitte, Frau Virmakowa. Der Mann hat Menschen getötet.«
    »Vielleicht. Ich – hoffe.«
    »Okay. Sie haben Herrn Bauer gesagt, es war ein junger Mann. Stimmt das?«
    »Ja. Da bin ich sicher. Ein junger Mann, nicht alt.«
    »Jetzt interessiert mich eigentlich nur, warum Sie da so sicher sind? Wenn Sie ihn doch gar nicht richtig gesehen haben?«
    Olga Virmakowa dachte nach, die Stirn in tiefe Runzeln gelegt. »Bewegungen«, sagte sie schließlich.
    »Bewegungen?«
    »Ja, sie waren – jung. Nicht alt, nicht steif. Jung.«
    »Im Sinne von: elastisch, kräftig, sportlich, gute Figur? Meinen Sie so was?«
    »Ja, das alles, aber noch etwas... Ich weiß das Wort nicht...«
    Mona dachte nach. »Meinen Sie vielleicht... routiniert?«
    »Routiniert? Ich weiß nicht, was das heißt, Entschuldigung...«
    »Routiniert – also, wie jemand, der das schon öfter gemacht hat?« Die richtige Frage kam manchmal wie aus dem Nichts.
    »Ja!«, sagte Olga Virmakowa und strahlte Mona an. »Als ob er jeden Tag das macht. Als ob er viel übt, das zu machen. Jede Bewegung hat gestimmt. Verstehen Sie?«
    »Ja.«
    »Sehr – äh – professionell. Wie im Fernsehen, wenn sie zeigen Polizei.«
    Monas Glieder wurden schwer wie Blei, und am liebsten hätte sie sich neben die alte Olga auf die Couch gelegt. Aber das war so ziemlich das Letzte, was sie jetzt tun durfte. Sie holte ihre Schachtel Zigaretten aus ihrer Tasche, schüttelte eine heraus und zündete sie sich an. Nikotin war jetzt das Einzige, was sie wach hielt. Und die Erkenntnis, die ihr nun mit Verspätung den Adrenalinstoß versetzte, den sie

Weitere Kostenlose Bücher