Damals warst du still
an die Nachbarin von Sonja Martinez. Auch sie hatte am Mord-Tag einen Mann gesehen, allerdings mit einem Kapuzen-Shirt, der an Sonja Martinez Wohnungstür gestanden war. »Okay«, sagte sie. »Weiter.«
»Sie ist dann wieder die Treppe hinuntergelaufen, in ihr Zimmer. Sie hat die Tür abgesperrt und, gebetet und geweint.«
»Der Mörder hat sie nicht gesehen?«
»Das weiß sie nicht genau. Jemand, wahrscheinlich der Täter, ist danach noch einmal durchs ganze Haus gestreift. Sie hat ihn gehört, und sie glaubt, dass er sie gesucht hat. Er hat aber nicht versucht, die Tür zu ihrem Zimmer aufzumachen. Möglicherweise hat er sie einfach nicht gefunden, das Zimmer ist ja sowieso etwas versteckt. Die Tür ist ziemlich schmal, man könnte meinen, dahinter gibt’s nur noch eine Speisekammer. Deshalb ist sie sich nicht sicher, ob er sie gesehen hat.«
»Was hat sie dann gemacht?«
»Sie hat die ganze restliche Nacht auf ihrem Bett gesessen, so sehr hat sie sich gefürchtet.«
»Hat sie kein Telefon in ihrem Zimmer?«
»Nein.«
»Kein Handy?«
»Sie sagt nein.«
»Glaub ich nicht. Sie hat bestimmt eins, als Haushälterin braucht man eins. Wahrscheinlich ist es so, wie du sagst: Sie ist illegal hier und hat deswegen die Polizei nicht alarmiert.«
»Kann schon sein«, sagte Patrick. Seine Stimme hörte sich frischer und bestimmter an als früher, und in den letzten Minuten schien er ein paar Zentimeter gewachsen zu sein.
»Wo ist sie jetzt?«, fragte Mona. Sie musste sich unbedingt bewegen – etwas tun, um die lähmende Müdigkeit zu überwinden.
»Vorhin war sie im Wohnzimmer mit dem Notarzt.«
»Okay, ich geh da jetzt mal hin. Du gibst den anderen Bescheid, wegen der Konferenz um zwölf. Und, Patrick...«
»Ja?«
»Das hast du super gemacht. Ich hoffe, das bringt uns einen Riesenschritt voran.«
»Danke.« Bauer stand auf, schien wieder mal nicht zu wissen, wohin mit seinen Händen, und steckte sie schließlich in die beiden hinteren Taschen seiner Jeans. Das sah ziemlich komisch aus, besonders als er sich in Bewegung setzte, und Mona musste sich das Lachen verbeißen, obwohl hier eigentlich nichts komisch war, gar nichts. Schwerfällig wie eine alte Frau zog sie sich am Treppengeländer aus dunklem poliertem Holz hoch. Flüchtig kam ihr der Gedanke, wer wohl, falls Plessen ebenfalls sterben sollte, diese Villa erben würde, und dass sie als Erbin dieses Haus nicht würde haben wollen. Nicht geschenkt, dachte sie und ging ins Wohnzimmer zu der einzigen echten Augenzeugin, die die SoKo Samuel hatte.
17
Freitag, 25. 7., 10.47 Uhr
Olga Virmakowa, oder wie immer sie hieß, war eine kleine, dicke Frau um die fünfzig. Sie lag auf einem der mit weißem Leder bezogenen Sofas; das Erste, was Mona von ihr sah, waren ihre voluminösen, blaugelb gemusterten Turnschuhe, die über die Seitenlehne ragten, wahrscheinlich weil ihr ein Sanitäter geraten hatte, die Beine hoch zu legen. Ansonsten war das Wohnzimmer leer, nur die herausgezogenen Schubladen, abgehängten Bilder und hin und her verschobenen Möbel zeigten, dass hier eine Reihe von Leuten sämtliche Spuren gesichert hatten, die der Täter eventuell hinterlassen hatte. Doch jetzt waren die Tatortleute abgezogen und die Notarztwagen ebenfalls. Stattdessen würde der Leichenwagen, der die Toten ins Institut für Rechtsmedizin transportieren sollte, in den nächsten Minuten eintreffen. Fischer sprach zurzeit mit den Klienten Plessens, die um acht Uhr vor dem Tor gestanden hatten, vollkommen entsetzt über den Anblick der ermordeten Polizisten. Schmidt, Forster, Bauer und die beiden Beamten vom LKA wuselten wahrscheinlich irgendwo in diesem riesigen Haus herum, während Clemens Kern bestimmt schon wieder in der Stadt war, an seinem Computer saß und erneut versuchte, ein Tatmuster zu finden, das dem Geschehen hier entsprach und auf diese Weise Rückschlüsse auf die Identität des Täters zulassen würde.
Kern war Spitzenklasse in seinem Job, das bezweifelte Mona nicht, und auch nicht Sinn und Zweck einer ausgefeilten Fallanalyse. Aber die gute, alte, mühselig frustrierende, so oft in Sackgassen endende Ermittlungsarbeit konnte sie nicht ersetzen, die vor allem darin bestand, Fragen zu stellen – sich selbst, den mittel- und unmittelbar Beteiligten, all jenen, die glaubten, schon mit einer Theorie aufwarten zu können, aber nur heiße Luft produzierten, und all jenen, die felsenfest glaubten, nichts zu wissen, was manchmal stimmte, manchmal auch nicht. Fragen
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