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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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dumpfes Tap-tap-tap-tap. In Schuhen mit weichen Sohlen. Gummisohlen. Turnschuhe. Gummisohlen. Turnschuhe . David klammerte sich an diesen Begriffen fest, die ihm Halt zu geben schienen in einer schwankenden Welt, in der alle Sicherheiten so plötzlich verschwunden waren, als hätte es sie nie gegeben. Und plötzlich erschien ihm dieser Zustand so selbstverständlich, als hätte er jahrzehntelang in einer Illusion gelebt und sei erst jetzt mit der Wirklichkeit konfrontiert worden. Einer Wirklichkeit, die so aussah, dass alles jederzeit möglich war. Das Beste und das Schlimmste. Das Beste und das Schlimmste.
    Die Schritte klangen erst unregelmäßig und zögerlich, dann schienen sie plötzlich fester und schneller zu werden, dann verklangen sie für ein paar Sekunden. Lange genug, dass sich David überlegte, ob er sich nicht vielleicht doch getäuscht hatte. In einer Situation wie seiner bildete man sich die seltsamsten Dinge ein.
    Dann ein Quietschen, wie es das Öffnen einer schweren Metalltür verursachte. Das Deckenlicht ging an, eine nackte Birne. David kniff unwillkürlich die Lider zusammen, obwohl er doch so sehnsüchtig auf Helligkeit gewartet hatte. Eine Zeit lang sah er gar nichts, schließlich zwang er sich dazu, seine tränenden Augen wieder zu öffnen. Er konnte etwas sehen. Endlich. Schon diese winzige Annehmlichkeit machte ihn so dankbar, dass er am liebsten geweint hätte, wenn das möglich gewesen wäre, ohne Rotz zu produzieren, der ihn in Sekundenschnelle ersticken würde. Der Baumwollknebel stak fest in seinem Mund. Sorgfältig atmete David durch die Nase. Er betrachtete die in streifigem Weiß getünchte Decke über sich.
    Er befand sich, wie er richtig vermutet hatte, in einem Kellerraum. Neben ihm – er wandte vorsichtig den Kopf – war ein riesiges, rostfarben gestrichenes Ding, wahrscheinlich der Heizkessel. Ein Keller also. David hob beschwerlich den Kopf. In der Ecke gegenüber saß eine Gestalt. Mühsam schärfte er seinen Blick. Die Gestalt sah ihn schweigend an. David konnte ihre Augen sehen, der Rest – Mund-, Kinn-, Hals- und Stirnpartie – war hinter einer schwarzen Skimütze verborgen, einem dieser Dinger, die man auf Pisten kaum noch sah, dafür auf gewalttätigen Demonstrationen oder auf jenen Videos, die Banküberfälle für die Ewigkeit festhielten. Neben der Gestalt stand ein schwarzer Rucksack.
    Als die Gestalt feststellte, dass er bei Bewusstsein war, stand sie auf und ging auf ihn zu. Sie war nicht sehr groß, mollig und trug Jeans und ein kurzärmliges rotes T-Shirt, das Schweißflecken unter den Achseln zeigte, wie David aus seiner Perspektive gut erkennen konnte. Es war eindeutig eine Frau, und sie war nicht mehr ganz jung. Sie kam David bekannt vor, aber er verfolgte diese Überlegung nicht weiter. Die Tatsache, dass sie sich die Mühe gemacht hatte, sich zu maskieren, gab ihm etwas Hoffnung, diese Sache hier doch lebend zu überstehen. Da er ohnehin nichts sagen konnte, versuchte er, sich zu entspannen.
    Die Frau stand zu seinen Füßen und fixierte ihn schweigend. Ihre Augen waren blaugrau und hatten sehr kleine Pupillen. David hielt ihrem Blick stand. Obwohl er ihr Gesicht nicht sehen konnte, strahlte die Frau etwas Bedrohliches aus. Auf David wirkte sie, als würde sie bei jedem falschen Wort aus der Haut fahren. Also wartete er, ohne zu zappeln, ohne einen Laut von sich zu geben.
    Aber er konnte nicht verhindern, dass langsam die Erinnerung zurückkam. Er stand wieder am Auto des zweiten Schupos, der über dem Lenkrad zusammengesunken war. Er beugte sich wieder über den Mann, dann hörte er wieder ein Geräusch, dann sah er wieder ein Gesicht. Das Gesicht einer Frau: Sabine. Sabine war es gewesen. Sie hatte ihn niedergeschlagen. Sie hatte ihn hierher gebracht. Sie würde ihn vielleicht hier sterben lassen.
    O Gott, dachte er. Sabine Frost. Diejenige, die ihm anfangs am wenigsten aufgefallen war, vor allem, weil er ja laut Auftrag nach einem Mann suchen sollte. Ein Mann zwischen zwanzig und dreißig Jahren alt. Sabine Frost war mindestens Mitte vierzig und eine Frau. David versuchte, ruhig zu bleiben, aber die Übelkeit, die er bislang so erfolgreich niedergekämpft hatte, kehrte zurück. Gleichzeitig spürte er das Fieber, wenn auch nicht so stark wie noch vor – Stunden? Minuten? Er wusste es nicht. Er wusste nur: Er war krank und brauchte einen Arzt oder wenigstens ein Bett, in dem er sich auskurieren konnte.
    Ohne ihre Augen von ihm zu wenden, zog die Frau

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