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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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er sich sagen. Seine Stimme klang immerhin schon kräftiger.
    Sie wandte sich mit verächtlichem Lächeln um. In der Hand hielt sie eine Video-Kassette. Sie sah neu aus, wie unbespielt. Sie war unbeschriftet. Sie sah aus wie die, die David aus Fabians Haus hatte mitgehen lassen. »Was ist das?«, fragte er sich dumm stellend.
    »Du Arschloch. Das weißt du doch genau!«
    »Weiß ich nicht. Keine Ahnung.«
    »Er wollte, dass du es siehst.«
    »Was? Das Video?«
    Sabine sah mit einem Mal mürrisch aus. Sie antwortete nicht. Sie stand in der Mitte des Raums, als wüsste sie mit einem Mal nicht mehr, wie es nun weitergehen sollte.
    »Wer ist er ?«, fragte David hartnäckig weiter. Die Gier nach Wasser war abgelöst worden von dem leidenschaftlichen Wunsch, nicht allein zu sein. Nur ja nicht allein zu sein. Vor allem nicht in der Dunkelheit. »Wer ist er ? Was ist auf dieser Kassette drauf?« Er konnte einfach nicht aufhören.
    »Sei jetzt ruhig.«
    »Sabine...«
    Es war ein Fehler, ihren Namen zu nennen, und er hatte es nun schon zum zweiten Mal getan. Es war ein Fehler, sie auch noch darauf hinzuweisen, dass er sie kannte, dass er sie verraten konnte, dass er sterben musste, wenn sie nicht wegen eines Kapitalverbrechens ins Gefängnis kommen wollte. Was war das Strafmaß für Kidnapping? Mindestens zehn, fünfzehn Jahre, soweit er sich erinnerte. Dann fielen ihm die toten Polizisten ein, und er schloss sekundenlang die Augen. Kidnapping. Dieses Delikt fiel aus Sabines Sicht schon längst nicht mehr ins Gewicht.
    Sabine warf ihm die Kassette vor die Füße. Er sah sie verständnislos an. »Ich hau jetzt ab«, sagte sie, eine Ausdrucksweise, die überhaupt nicht zu der schüchternen, weinerlichen Sabine passte, die er bei Fabian erlebt hatte. »Nein!«, rief David sofort und bäumte sich in seinen Fesseln auf. »Bleib da!« Er war wieder ein kleiner Junge, der in einem dunklen Schlafzimmer allein gelassen wurde. Er wehrte sich gegen diese entwürdigende Angst, aber in seinem Zustand – gefesselt, verschwitzt und elend – gelang es ihm einfach nicht mehr, cool zu bleiben.
    »Mutti kommt bald wieder«, sagte Sabine in einem spöttischen Singsang-Ton, während sie sich den Rucksack über die linke Schulter hängte. »Mutti lässt dich nur ganz, ganz kurz allein, das verspreche ich. Ganz kurz. Nur um Besorgungen für meinen kleinen Schatz zu machen.« Ihr Gesicht tauchte dicht über seinem auf; sie grinste. Ihr Atem roch schwach nach Zwiebeln. Wieder drehte sich Davids Magen um, aber immerhin machte Sabine keine Anstalten, ihm den widerlichen Knebel wieder anzulegen. »Mein kleiner Schatz«, sagte sie, und diesmal klang es fast zärtlich. »Erhol dich gut!« Das Licht ging aus, die Tür fiel mit einem dumpfen Knall hinter ihr ins Schloss.

20
    Freitag, 25. 7., 11.00 Uhr
    Da Monas Dienstwagen in der Garage des Dezernats 11 stand, nahm sie einer der Schupos mit in die Stadt. Sobald Mona auf dem Beifahrersitz im Streifenwagen Platz genommen hatte, schlief sie ein, den Kopf ans geschlossene Fenster gelehnt, die strahlende Sonne ignorierend, die einen heißen Tag ankündigte. Um Viertel vor zwölf wachte sie davon auf, dass sie jemand an der Schulter rüttelte. Sie schreckte hoch und sah in das besorgte Gesicht ihres Fahrers. »Geht’s Ihnen gut?«, fragte er. Sie parkten in zweiter Reihe vor dem Gebäude des Dezernats. Mona war verschlafen, durchgeschwitzt und hatte das Gefühl, schlecht zu riechen: Es ging ihr nicht gut, ganz und gar nicht. In ihrem Mund war ein scheußlicher Geschmack nach kaltem Rauch. Und wann hatte sie zum letzten Mal ihre Kleider gewechselt? Sie wusste es nicht mehr.
    »Danke, ist schon in Ordnung«, sagte sie, während sie eilig die Beifahrertür öffnete. Autolärm und Benzingestank gaben ihrem Kreislauf fast den Rest, aber sie stieg aus, reckte sich und verabschiedete sich mit Handschlag von dem Polizisten, der netterweise ebenfalls ausgestiegen war. Sie winkte ihm zu, als er wieder im Auto Platz nahm, und ging durch die Glastür in den hässlichen Sechzigerjahre-Bau, in dem sich das Dezernat 11 nun schon seit vielen Jahren befand, ungeachtet der Zusage der Stadt, diesem und den anderen hier ansässigen Dezernaten ein neues, moderneres Gebäude zu errichten. Sie drückte auf den Knopf an der Lifttür, und im Liftschacht begann es zu rumpeln wie bei einem beginnenden Erdbeben.
    Alles wie immer.
    Das hatte auch etwas Beruhigendes.
    Der Lift kam, und Mona stieg ein. Sie hatte noch zehn Minuten Zeit bis

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