Damals warst du still
Familie Helga Kaysers auf der Flucht vor den Russen war. Der Sohn schien ziemlich schockiert gewesen zu sein, über das, was seine Mutter ihm über dieses Ereignis geschrieben hatte.«
Kern hielt den Kopf gesenkt, aber Mona wusste, dass er genau zuhörte. »Nur noch mal zur Erinnerung«, sagte sie. »Helga Kayser ist Fabian Plessens ältere Schwester, die Plessen uns zu Beginn der Ermittlungen verschwiegen hat. Nicht nur das: Er hat Forster angelogen und behauptet, sie sei bereits gestorben. Da es in Plessens, beziehungsweise Kaysers Geburtsort keine Unterlagen mehr über die beiden gibt...«
»Warum nicht?«, fragte Schmidt.
»Die sind im Krieg verloren gegangen, heißt es auf dem dortigen Standesamt. Das war nichts Besonderes damals, das ist in dem Chaos zwischen 1944 und 1945 öfter passiert. Aber Plessens Schwester hat ein zweites Mal in Berlin geheiratet, und in diesen Unterlagen taucht Helga Kaysers Mädchenname Plessen wieder auf. So haben wir sie überhaupt erst gefunden.« Tatsachen, die der SoKo bekannt waren, aber es war nie verkehrt, Erinnerungen aufzufrischen. »Nun zu diesem Brief.« Mona sah auf ihre Notizen. »Beziehungsweise zu allen Briefen. Aus ihnen geht hervor, dass Frank Staller, also Helga Kaysers Sohn, drei Kinder hatte. Das Jüngste hieß Ferdinand und ist unter ungeklärten Umständen gestorben. Das mittlere heißt Hannes und seine ältere Schwester Ida. Hannes dürfte heute ungefähr dreißig sein. Er passt vom Alter her als Einziger ins Täterschema. Er kennt alle Opfer. Er hätte vielleicht ein Motiv.«
»Oder seine Schwester«, warf Fischer ein.
»Der Täter ist ein Mann«, sagte Kern.
»Das weißt du doch gar nicht.«
»Doch, das wissen wir«, sagte Mona. »Wir haben eine Zeugin, die die letzten Morde zumindest teilweise beobachtet hat. Patrick hat diese Zeugin aufgetan, und er hat mit ihr gesprochen. Sie heißt Olga Virmakowa und ist Plessens Haushälterin. Sie befindet sich hier, zu ihrem eigenen Schutz, denn sie hat den Täter gesehen. Er ist ein noch relativ junger Mann. Da gibt’s überhaupt keinen Zweifel. Der Täter ist jung, und er ist männlich.«
»Aber dieser Hannes Staller...«, unterbrach sie Fischer.
»Wir wissen natürlich nicht, ob er es war«, sagte Mona. »Wir wissen nicht mal, wo er sich heute aufhält. Aber eins ist klar: Wir müssen ihn finden und mit ihm reden. Und wir müssen seine Mutter finden, Susanna Staller, denn vielleicht weiß sie etwas. Das Problem: Wo sie heute lebt – keine Ahnung. Wo ihr Sohn Hannes sich aufhält – keine Ahnung. Das Letzte, was wir über diese beiden wissen, steht in den Briefen von Frank Staller an Helga Kayser. Und die sind von 1979.«
Stille.
»Was ist mit Plessen?«, fragte Forster schließlich. Seitdem er die Sache mit Plessens Schwester verbockt hatte, benahm er sich vorbildlich beflissen.
»Plessen ist in der Klinik. Sein Zustand ist unverändert. Sobald er vernehmungsfähig ist, sagen mir die Schupos Bescheid, dann können wir ihn befragen. Die Kugel, mit der er getroffen wurde, konnte noch noch nicht entfernt werden; er ist im Moment einfach zu schwach für eine OP. Sobald sie draußen ist, wird sie untersucht. Die Kugeln, mit denen die Schupos und Roswitha Plessen getötet wurden, sind bereits im Labor.« Den Verdacht, dass der Täter unter der Polizei zu suchen war, behielt Mona für sich. Jemand machte das Fenster auf, und Straßenlärm flutete in den verrauchten Raum. Ein paar Sekunden sagte niemand etwas, dann schloss Bauer das Fenster wieder.
»Was jetzt?«, fragte Fischer, der sich etwas beruhigt hatte.
»Susanna Staller und Hannes Staller. Diese beiden müssen wir finden«, sagte Mona ein zweites Mal. Forster sagte: »Ich kann das machen.«
»Gut«, sagte Mona. Es war gut, dass Forster die Scharte wieder auswetzen wollte. »Sobald du Namen hast, soll dir Patrick beim Durchtelefonieren helfen.«
Bauer nickte.
»Dann muss ich euch noch etwas sagen.« Und Mona berichtete vom Einsatz David Gerulaitis’ als verdecktem Ermittler in Sachen Plessen. »Das Problem ist, dass er seit gestern Morgen nicht mehr zu erreichen ist, weder mobil noch bei sich zu Hause. Heute früh ist er nicht aufgetaucht. Wir müssen ihn also zur Fahndung ausschreiben. Hans, kannst du das machen? Ich geb dir alle Unterlagen.«
»Was glaubst du, wo er ist?«, fragte Fischer so zahm, wie sie ihn seit undenklichen Zeiten nicht mehr erlebt hatte.
»Keine Ahnung«, sagte sie. »Ehrlich gesagt, kann es sein, dass ihm was passiert
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