Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
Vom Netzwerk:
konfrontieren.«
    »So?«
    »Ja.«
    Eine Pause entstand. Schließlich sagte Mona: »Zurück zu Frau Martinez.«
    »Sonja. Sie war so ein liebenswerter Mensch, aber auf dem falschen Weg.«
    »Was heißt das, der falsche Weg. Dass sie bei ihrer Familie bleiben wollte? Dass sie ihren Mann und ihre Tochter nicht verlassen wollte?« Langsam fand Mona zu sich selbst zurück, zu ihrem eigenen Wertesystem, ihrer eigenen Art, die Dinge anzugehen. Sie zündete sich eine Zigarette an, absichtlich, ohne um Erlaubnis zu fragen. Plessen sagte nichts dazu. Ein paar Momente schwiegen sie. Aus den offenen Terrassentüren wehte ein kühles, erfrischendes Lüftchen, die Tannen schienen in der leichten Brise zu rauschen, und zum ersten Mal fiel Mona auf, wie still es hier war: ohne jene typischen Stadtgeräusche, die selbst in der ruhigsten Zeit zwischen drei und vier Uhr morgens wahrzunehmen waren.
    »Sonja Martinez«, sagte Mona. »Sie haben Ihr geraten wegzugehen. Ihre Familie zu verlassen.«
    »Das war ihre Bestimmung, ja. Sie stammt von ihrer Familie.«
    »Wie bitte? Ihre Familie wollte von ihr, dass sie geht? Das ist doch... Entschuldigen Sie, aber...«
    »Sonja hätte niemals heiraten dürfen. Sie war die älteste Tochter und dazu bestimmt , die Firma ihres Vaters zu übernehmen.«
    »Was?«
    »Das werden auch Ihre Ermittlungen ergeben, warten Sie nur ab. Sonjas Vater hatte eine Fabrik zu vererben und nur Töchter. Also hätte Sonja als die Älteste diese Fabrik übernehmen müssen. Ihr Vater hat sie daraufhin erzogen, so war es gedacht. So wollte es die Tradition.«
    »Also...«
    »Sie verstehen das jetzt nicht. Aber hören Sie mir einfach nur zu. Sonja hätte eigentlich die Firma übernehmen müssen, aber sie hat sich dagegen gewehrt. Sie hätte die Aufgabe des ältesten Sohns übernehmen müssen. Das war das geltende Familiengesetz.«
    »Herr Plessen. Wer hat diese Gesetze gemacht und wozu?«
    »Gleich. Darauf komme ich gleich. Sonja hat ihre Bestimmung nicht annehmen wollen, und Sie wissen bestimmt, wie schlecht es ihr damit ging. Sie hat nicht Betriebswirtschaft studiert, sie hat nicht...«
    »Hören Sie auf! Das ist doch...«
    »Deshalb hätte sie ihre Familie verlassen müssen. Die Firma ist längst verkauft, aber es gibt einen Ausweg für Sonja – also, es hätte einen gegeben. Sie hätte allein leben und versuchen müssen, sich aus eigener Kraft etwas aufzubauen. Etwas, das sie zurückgeben kann an ihre Familie. An das unpersönliche Ganze, das ihre Familie ausmacht.«
    »Aber deshalb hätte sie ihre Familie doch nicht verlassen müssen!«
    »Ich rede nicht von Sonjas Tochter und ihrem Mann. Die gehören nicht wirklich zu ihr. Ich rede von ihrer Ursprungsfamilie, die nun zersplittert ist, weil Sonja ihre Bestimmung nicht angenommen hat. Verstehen Sie: Sonja hat geweint, sie hat gesagt, sie sei eine schlechte Mutter. Aber das war gar nicht der Punkt. Sie hätte nie Kinder haben dürfen – es sei denn mit einem Mann, der die Erzieherrolle übernimmt. Sie war nicht dafür gemacht, das selbst zu tun.«
    »Das glauben Sie?«
    »Reden Sie mit Sonjas Mann, wenn Sie es nicht schon längst getan haben. Er wird ihnen sagen, dass sie als Mutter versagt hat. Ich habe keine Schuld daran, dass sie depressiv war. Sie war es, bevor sie zu uns kam, sie war es danach. Ich habe ihr den Weg heraus aufgezeigt, aber sie wollte ihn nicht einschlagen. Das ist ihr gutes Recht, aber die Folgen sind oft verheerend. Ich gebe das vorher all meinen Klienten schriftlich: Wenn sie die Wahrheit, die sie während des Seminars erkennen, nicht anschließend leben, kann das gefährlich für ihr Wohlbefinden sein.«
    »Diese Familiengesetze...«
    »Es gibt allgemeine Gesetze, die für alle Familien gelten. Und es gibt individuelle Traditionen, denen Folge geleistet werden muss. Diese Wahrheit ist hart in einer Zeit, wo jeder auf sein Ego pocht und seine individuelle Erfüllung einklagt. Aber es lässt sich nicht ändern. Wir können nicht alles beeinflussen. Wir sind nicht völlig frei.«
    »Herr Plessen...«
    »Natürlich gibt es auch Aufträge, die man als Familienmitglied ablehnen kann und soll. Da muss man sehr sorgfältig unterscheiden. Das ist meine Bestimmung, jenes nicht: diese Unterscheidung ist wichtig.«
    »Also...«
    »Sonja war eine schlechte Mutter, weil die Tradition ihrer Familie ihr nicht erlaubt hat, eine gute zu sein. Es war ihr nicht mitgegeben. Wie gesagt: Sie hätte niemals Mutter werden sollen.«
    Und genau Letzteres hatte ihnen

Weitere Kostenlose Bücher