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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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Gewitter vom vergangenen Nachmittag hatte sich verzogen, aber die Luft war viel kühler als die Nächte davor. Janosch und David befanden sich auf dem Parkplatz vor einem Club im Norden der Stadt. Sie fuhren langsam die Reihen der parkenden Autos entlang und checkten mit Rasterblick die Kennzeichen auf den Nummernschildern – zwanzig, dreißig Zahlen- und Buchstabenkombinationen von aktenkundigen Dealern und deren Kunden hatten sie stets im Kopf, das gehörte zum Job. Zwei Autonummern von hunderten erkannten sie schließlich wieder. Die dazugehörigen Wagen standen auch noch nebeneinander, was als doppelter Hinweis zu werten war. Janosch stellte den BMW zehn Meter entfernt an einer Stelle ab, von der aus sie die Frontscheiben der beiden verdächtigen Fahrzeuge im Blick hatten.
    Dann warteten sie im Auto. Länger als eine halbe Stunde konnte es nicht dauern, der Club schloss normalerweise gegen halb fünf. David zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch durch das offene Seitenfenster. Seine Grippe war überstanden, er fühlte sich nur noch leicht erkältet. Janosch griff zur Schachtel, die David auf dem Armaturenbrett abgelegt hatte. Er brauchte nicht zu fragen, sie teilten alles miteinander. David sah Janosch von der Seite an. Er hätte ihm gern von dem Gespräch mit KHK Seiler erzählt, das er am frühen Abend geführt hatte und nun nicht mehr aus dem Kopf bekam.
    Es war eine einmalige Chance, später, bevor er für das hier zu alt wurde, den Wechsel in die Mordkommission zu vollziehen. Er hätte die kommende freie Woche zur Erholung zwar gut brauchen können, aber das stand jetzt nicht zur Debatte.
    Ich hätte Sie gern undercover, Herr Gerulaitis. Als Patient bei Plessen.
    Dem Psychofritzen?
    Ja. Wir glauben nicht, dass Plessen der Täter ist, aber er hat etwas mit den Taten zu tun.
    Was soll ich da machen?
    Das Seminar mitmachen wie ein normaler Patient... oder Klient. Plessen nennt das Klient. Ansonsten: sich in seinem Haus umschauen. Die anderen Klienten beobachten. Sich ihre Geschichten merken.
    Sie glauben, dass einer der Klienten...?
    Könnte schon sein. Es ist bis jetzt nur eine Theorie. So oder so, ich will wissen, was während dieser Sache abgeht. Ein ehemaliger Klient hat sich umgebracht, einer ist heute in der Psychiatrie. Irgendwas ist da nicht ganz sauber.
    Okay.
    Was?
    Okay. Ich mach’s. Wann muss ich da hin?
    Gut! Sie melden sich für nächsten Dienstag, den 22., an. Ihre Dienststelle hat mir gesagt, Sie haben nächste Woche frei.
    Ja.
    Dann passt das ja. Sie melden sich also ganz normal bei Plessen an, hier ist seine Telefonnummer. Es gibt garantiert freie Plätze seit dieser Mordgeschichte. Bestimmt hat mindestens die Hälfte der Klienten storniert. Plessen wird also für jeden neuen Klienten dankbar sein.
    Ja.
    Das Seminar dauert nur bis Freitag, den 25. Vier Tage. Sie haben also nicht viel Zeit, sich da umzusehen.
    Okay. Kein Problem.
    Haben Sie so was schon mal gemacht? Eine...?
    Seh ich so aus?
    Darum geht’s nicht. Ich meine, diese, diese Sitzungen können was in Ihnen auslösen, verstehen Sie? Das ist nicht einfach nur Gerede, Sie müssen sich da einbringen.
    Einbringen? Wie denn?
    Sie sind ein Klient. Sie haben Probleme. Mit sich, Ihrer Familie, Ihrer Ehe – egal. Sie müssen so tun als ob. Kriegen Sie das hin?
    Sicher.
    Sie denken, das ist leicht, aber Sie können nicht alles erfinden, für eine komplett neue Vita haben wir keine Zeit. Sie müssen sich, na ja, zum Teil schon auf die Sache einlassen. Aber eben nicht zu sehr. Mitmachen und dabei ganz cool bleiben.
    Das schaff ich schon. Ich bin geübt in solchen Sachen. Ich kann ziemlich gut spielen.
    Deswegen habe ich an Sie gedacht. Die Leute hier... Erstens kennt Plessen bereits die Hälfte der MK 1 von den Vernehmungen, und dann ...
    Versteh ich schon.
     
    Er hatte verstanden. KHK Seiler brauchte jemanden wie ihn. Der gut war in seinem Job, weil er sich daran gewöhnt hatte, andere zu belügen und zu betrügen. Der in der einen Minute den zitternden Süchtigen und in der nächsten den abgebrühten Händler spielen konnte. Der in null Komma nichts den Jargon welcher Szene auch immer beherrschte. Der sich, innerlich komplett unbeteiligt, wie ein Chamäleon den Erwartungen anderer anpassen konnte. Der dabei nie vergaß, was er tat und wer er wirklich war. Das war ein mühsamer Akt, ein riskantes Balancieren zwischen zwei Realitäten. Er dachte flüchtig an den Kollegen, der im Auto eines Dealers gesessen hatte und dessen

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