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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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werden.
    Die viel schlimmere Pleite war die Sache mit Hervé. Er hatte nichts bei sich, das war Fakt, und da Lydia sich weiterhin weigerte, gegen ihn auszusagen, mussten sie ihn nach einem fünfminütigen Geplänkel gehen lassen.
    »Geben Sie mir Ihren Autoschlüssel«, sagte David müde zu Lydia, nachdem Hervés Auto in einer lärmenden Staubwolke verschwunden war.
    »Wieso?«
    »Weil wir jetzt zu Ihrer Wohnung fahren. Alles klar?«
    Mittlerweile war der riesige Parkplatz fast leer. Ein paar Schwalben schossen dicht über ihre Köpfe hinweg. Lydia sagte nichts mehr, sondern kramte in ihrer winzigen bestickten Tasche. Im Morgenlicht wirkte ihr hübsches Gesicht wie ausgezehrt; David fiel auf, wie unglaublich dünn sie war. Er wartete ungeduldig, mit den Händen in den Hosentaschen. Sie tat ihm nicht Leid. Sie hatte dieses Leben gewählt, sie war an allem selber schuld. Sie hatte alle Chancen gehabt, die anderen nie zuteil wurden. David registrierte plötzlich ein Gefühl so tiefer Verachtung für sie, dass er kaum an sich halten konnte. Er biss die Zähne zusammen, bis die Zorneswelle wieder verebbte.
    »Hier«, sagte Lydia schließlich und hielt ihm einen Schlüsselbund hin. Ihre Lippen waren bläulich angelaufen, ihre Hand zitterte. Sie brauchte wirklich einen Druck, so viel war immerhin klar. Eine Tatsache, die sie sich zu Nutze machen konnten. Janosch nahm sie am Arm und öffnete die hintere Tür des BMW. Mit mürrischem Gesicht riss sie sich los und setzte sich hinein. Mit einem geübten Griff kreuzte Janosch ihre Handgelenke vor ihrem Bauch und legte ihr Handschellen an. Danach warf er, ungeachtet ihrer Proteste, mit Schwung die Autotür zu.
    »Ich fahr hinter euch her«, sagte David. Janosch nickte ihm zu und stieg auf der Fahrerseite des BMW ein. David nahm Lydias Wagen, einen nagelneuen Mini. Im Konvoi fuhren sie zu Lydias Wohnung.

32
    Freitag, 18. 7., 6.13 Uhr
    Das Haus, ein renovierter Jugendstil-Altbau, befand sich in bester Innenstadtlage. Das Treppenhaus war breit, die Tür des Lifts mit schmiedeeisernen Ranken und floralen Motiven geschmückt. Es war so, wie David es sich schon gedacht hatte. Die Eltern hatten ihrer Tochter eine Wohnung gekauft, vielleicht sogar eingerichtet, und fühlten sich nun frei von allen weitergehenden Verpflichtungen. Inzwischen würde die Wohnung nicht nur verkommen, sondern, bis auf ein paar Sperrholzmöbel, so gut wie leer sein. Lydia war schon seit Jahren abhängig; bestimmt hatte sie alles zu Geld gemacht, was nicht niet- und nagelfest war. Schweigend bestiegen Lydia, Janosch und er den Lift.
    Janosch hatte Lydia die Handschellen abgenommen – sie war mittlerweile zu kaputt, als dass Fluchtgefahr bestanden hätte. Und so hätte ein oberflächlicher Beobachter die drei für Freunde halten können, wenn da nicht Lydias verbissenes, hasserfülltes Gesicht gewesen wäre, die dunklen Ringe unter ihren Augen, die erschöpften und gleichzeitig seltsam steifen Bewegungen, mit denen sie im engen Lift versuchte, jede Berührung mit Janosch und David zu vermeiden.
    Der Lift hielt im vierten Stock. Janosch und David ließen Lydia vorausgehen, David gab ihr den Schlüsselbund zurück, damit sie aufschließen konnte, und nahm ihn gleich danach wieder an sich. Wie er erwartet hatte, war die Wohnung, ein großzügiges Dreizimmer-Appartement mit altem Parkettboden und weiß lackierten Flügeltüren, fast unmöbliert. Das Parkett war staubig, David trat prompt auf eine klebrige Masse, die sich kaum von seiner Sohle lösen ließ. Es roch nach altem Müll. Verdammt, dachte er. Sie ist noch weiter unten, als sie aussieht.
    »So, hier sind wir«, sagte Lydia. Ihre Stimme klang atemlos, trocken und flach. Lydia hielt sich sichtlich nur noch mit Mühe aufrecht. »Macht es euch bequem«, fügte sie bemüht ironisch hinzu, aber ihre Miene wirkte eher verängstigt als angriffslustig. Janosch ging in eins der Zimmer, David schloss währenddessen die Wohnungstür von innen ab und steckte Lydias Schlüsselbund in die Tasche seiner Jeans.
    »Kann ich ins Bad?«, fragte Lydia. »Ich würd gern duschen und so.« David lehnte sich an die Wand des Flurs, ließ seine Blicke schweifen und antwortete absichtlich nicht. Lydia bewegte sich langsam, schwankend weg von ihm. Er behielt sie im Auge. Schließlich drückte sie eine der Türen auf, um blitzschnell dahinter zu verschwinden. Mit einem Satz stand David neben ihr. »Sie können alles machen, pinkeln, scheißen, duschen«, sagte er. »Sie können sich

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