Damals warst du still
Lydia zuckte zusammen. Sie nahm das Foto, schien sich aber auf nichts konzentrieren zu können. Ihre Augenlider zitterten, ihr Gesicht war aschfahl, auf der Stirn standen winzige Schweißtröpfchen.
»Meine Schwester«, sagte David schließlich, als von Lydia nichts kam. »Die neben Hervé. Das ist meine Schwester.«
Janosch drehte sich um. »Bist du sicher? Ich meine, das Bild ist ziemlich unscharf.«
»Das ist Danae. Ich, ich weiß nicht, was sie da macht.«
Janosch stand auf und warf das Bild mit einer absichtlich verächtlichen Bewegung auf den Schreibtisch. »David, das ist bloß ein Bild. Die muss Hervé nicht mal kennen, die war vielleicht zufällig im selben Club und dann hat wer abgedrückt.«
»Ich weiß.«
»Wir kriegen das raus. Okay? So oder so, wir kriegen das raus. Und dann sehen wir, was wir machen.«
»Ja. Danke.«
»Können wir jetzt weitermachen?«
»Ja, klar. Sicher. Ich bin wieder fit. Es war nur...«
»Das ist nur ein Bild. Denk dran. Aber jetzt...«
»Ja. Ich... nehm mir mal die Küche vor.«
»Super«, sagte Janosch, aber sein Blick blieb beunruhigt.
Eine halbe Stunde später fand David in Lydias Schlafzimmer Stoff im Wert von mindestens zehntausend Euro. Sie hatte das Heroin zwischen Lattenrost und Sprungfedern versteckt. Die Menge reichte leicht für eine Anklage wegen Drogenhandels. David dachte bei sich, dass sie wahrscheinlich gerade erst dabei war, die Sache richtig professionell aufzuziehen, andernfalls wäre die Wohnung sicher in einem besseren Zustand gewesen. Sie nahmen Lydia mit zum Drogendezernat. Es war sechs Uhr morgens, als sie dort ankamen. Mit dem ganzen Papierkram wurde es halb acht. Und wieder kam David zu spät nach Hause. Wieder gab es Ärger, und alles wurde noch schlimmer, als er Sandy erzählte, dass er nächste Woche tagsüber arbeiten musste und sie nicht, wie versprochen, gemeinsam zu ihrer Mutter aufs Land fahren konnten.
»Fahr doch allein mit Debbie«, versuchte David sie zu beruhigen.
»Du Scheißkerl. Heirate doch einfach deinen Job, wie wär denn das?«
»Sandy. Hör jetzt auf!«
Er schloss die Augen. Nichts, gar nichts durfte er ihr von seinem neuen Auftrag erzählen. Seine Stirn fühlte sich erneut fieberheiß an. Immerhin war heute Samstag. Er hatte noch Zeit, Sandy zu bearbeiten, damit sie sich wieder beruhigte. Dann musste er mit seinen Eltern telefonieren, sie unauffällig nach Danae aushorchen.
Auf die Idee, Danae selbst anzurufen, kam er nicht.
Wenigstens war sie bislang polizeilich nicht aufgefallen, weder in Verbindung mit Drogen, noch auf andere Weise: Sie stand in keinem Fahndungscomputer. Das war eine gute Nachricht, redete er sich ein.
Nachts träumte er von Danae, seiner Schwester, die er liebte, aber mit der er nicht sprechen konnte.
Die Tatsache, dass sehr viele an ihrem eigenen Weg
zugrunde gehen, bedeutet dem, der Bestimmung hat, nichts.
Er muss den eigenen Gesetzen gehorchen,
wie wenn es ein Dämon wäre, der ihm
neue seltsame Wege einflüstert.
C. G. Jung
ZWEITER TEIL
1
Montag, 21. 7., 9.00 Uhr
Die neue Woche begann, ohne dass sie sehr viel mehr wussten. Mona stand seit Freitag in Verhandlungen mit einer psychiatrischen Anstalt in einer Kleinstadt namens Lemberg, um den Patienten Fritz Lachenmeier vernehmen zu können, der nach Aussage seiner Frau unmittelbar nach der Therapie Plessens so massive paranoide Symptome gezeigt hatte, dass er von seiner Familie eingeliefert worden war. Der zuständige Arzt in der Klinik sperrte sich erst gegen das Ansinnen, stimmte aber schließlich einer Vernehmung zu, unter der Bedingung, dass sie erst kommenden Montag stattfinde, damit er seinen sehr instabilen Patienten auf den erneuten psychischen Stress vorbereiten könne. Mona hatte sich der Entscheidung gebeugt – ein verwirrter Patient, der vor lauter Angst keinen geraden Satz herausbrachte, würde die Ermittlungen sowieso nicht voranbringen.
Nachdem KK David Gerulaitis zugesagt hatte, undercover an einem Seminar bei Fabian Plessen teilzunehmen, hatten sie beschlossen, eine Sonderkommission zu bilden und die OFA offiziell hinzuzuziehen. Am Wochenende erstellte die OFA anhand der Tatortbefundsberichte, der Vernehmungs- und Obduktionsprotokolle ein Profil des mutmaßlichen Täters. Mona verschaffte diese Entwicklung der Dinge ein entspanntes Badewochenende mit Lukas und Anton, auch wenn das Handy stets griffbereit lag.
Schmidt und Forster observierten die Umgebung von Plessens Villa im Wechsel mit Fischer und Bauer.
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