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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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zumindest von den Strukturen her. Vielleicht hatte in der Familie jeder eine Rolle. Wenn das so wäre, dachte Mona plötzlich, wäre ich die Mutter! Eine Mutter von der erwartet wurde, dass sie ihre Sprösslinge erzog.
    Vielleicht rührten einige ihrer Probleme mit Fischer daher, dass sie sich in seiner Gegenwart eher wie eine große Schwester verhielt, während Berghammer... Ja, er war eindeutig eine Vaterfigur. Man orientierte sich an ihm, man vertraute ihm. Vielleicht lag es an Mona, endlich die richtige Rolle einzunehmen, damit ihr Wort Gewicht bekam.
    »Komisch«, sagte sie mehr zu sich selbst, als zu jemandem anders, »worauf man alles so kommt, wenn man...«
    Bauer sah sie an, als verstünde er nur Bahnhof.
    »Ist schon gut«, sagte Mona. Ihr Handy klingelte und sie schaltete auf die Freisprechanlage.
    »Ja?«, fragte sie.
    David Gerulaitis’ Stimme quäkte aus dem Lautsprecher. »Ich wollte nur sagen, es hat geklappt. Ich fange morgen mit dem Seminar an.«
    »Super. Dass Sie das so kurzfristig geschafft haben, meine ich. Toll.«
    »Plessen wollte das Seminar eigentlich ausfallen lassen. Es gab jede Menge Stornierungen wegen der Geschichte mit seinem Sohn, und es kommen nur wenige Leute, außer mir nur sieben. Normalerweise, sagt Plessen, sind es zwanzig bis dreißig. Aber ich hab ihn überzeugt, es doch zu machen.«
    »Gut«, sagte Mona. »Das ist wirklich gut. Melden Sie sich spätestens morgen Abend bei mir.«
    »Okay. Bis morgen.«
    Gerulaitis konnte sie loben, Fischer nicht. Vielleicht lag es nicht nur an ihm.
    »Wer war das?«, fragte Bauer.
    »Niemand Wichtiges.« Gerulaitis war ihr Mann, Bauer ging das nichts an.
    Mona grübelte weiter. Vielleicht erinnerte sie Fischer an jemanden, dessen Name mit A anfing und mit N aufhörte, und der sich ebenfalls an keine Regeln hielt. Vielleicht war sie manchmal neidisch auf denjenigen. Vielleicht kam sie deshalb nicht von ihm los. Vielleicht war Liebe zu einem gewissen Teil nichts anderes als das: Neid auf Besitztümer oder Eigenschaften, die man bei sich selbst vermisste.
    Mona schaltete das Autoradio ein und drehte den Popsender laut auf, ohne auf Bauer Rücksicht zu nehmen. Sie hatte jetzt keine Lust, sich zu unterhalten. Sie musste nachdenken, und das ging im Fahren bei lauter Musik am besten.

3
    Montag, 21. 7., 12.10 Uhr
    Das psychiatrische Landeskrankenhaus in Lemberg bestand aus mehreren niedrigen Gebäuden aus den Siebzigerjahren, die selbst in der gleißend hellen Mittagssonne düster wirkten. »Wie soll man denn hier gesund werden?«, fragte Bauer, als Mona und er in einem kastenförmigen Raum mit grau geflammtem Linoleumboden und vergilbten Wänden auf den Direktor warteten. Mona antwortete nicht. Sie dachte an ihre Mutter, die ihre letzten Lebensjahre in einer Institution wie dieser verdämmerte, als »therapieresistent« abgeschrieben, mit Medikamenten für immer ruhig gestellt. Ein einzelner Sonnenstrahl fiel in den Raum; gedankenverloren betrachtete Mona die durch ihn sichtbar gemachten herumwirbelnden Staubpartikelchen. Hier ist ganz schön viel los, was wir normalerweise gar nicht wahrnehmen, dachte sie.
    Der Direktor kam herein, ein großer, dünner Mann mit einem kurz geschnittenen Schopf eisengrauer Haare. An seinem irritierten Blick erkannte Mona, dass es wahrscheinlich nicht der Arzt war, mit dem sie am Wochenende telefoniert hatte. Er wirkte nervös und gleichzeitig abwesend. Sie stellten sich vor, und der Direktor sagte »schön, prima, dann wollen wir mal« zu niemandem Bestimmten. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und rief jemanden an, den er Alfons nannte. »Alfons, die Polizisten sind da wegen Fritz Lachenmeier. Kannst du kommen?«
    Ein ungemütliches Schweigen setzte ein, als das interne Telefonat beendet war und sie auf Alfons warteten, wer auch immer das sein sollte. Der Direktor schien weder ein leidenschaftlicher Smalltalker zu sein, noch von Neugier geplagt, weshalb zwei Kripobeamte eine anderthalbstündige Autofahrt hinter sich brachten, nur um einen seiner Patienten zu sprechen. Stattdessen sah er mit unbehaglichem Ausdruck vor sich hin und drehte einen Kugelschreiber zwischen seinen mageren Fingern voller Altersflecken hin und her. Bauer und Mona wechselten einen Blick.
    »Wer ist Alfons?«, fragte Mona schließlich.
    »Dr. Baum, der für Fritz Lachenmeier zuständige Arzt. Sie haben doch gestern mit ihm gesprochen!«, sagte der Direktor unfreundlich, als sei sie völlig begriffsstutzig.
    »Das ist richtig«, sagte

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