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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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schienen Bescheid zu wissen und standen mit unsicheren, steifen Bewegungen auf und begaben sich, als hätten sie das so verabredet, alle zusammen in die rechte Zimmerecke. David tat es ihnen gleich. Sein rechtes Bein war eingeschlafen von dem ungewohnten Schneidersitz, und den anderen schien es nicht viel besser zu gehen. Sabine deutete auf einen der Männer, Volker, und sagte: »Du bist mein Vater, bitte stell dich da drüben hin.« Dann zeigte ihr Finger auf David. »Du bist mein Bruder, bitte stell dich neben Volker. Nein, näher. Noch näher. Und ich will, dass du ihn anschaust.«
    Sabine machte weiter, platzierte ihre »Mutter« ein Stück weit weg von ihrem »Vater« und ließ die »Mutter« in eine andere Richtung als den »Vater« schauen. Schließlich wählte Sabine die Teilnehmerin, es war Franziska, die Sabine selbst darstellen sollte. »Sabine« wurde irritierenderweise ganz woanders hingestellt, so als ob sie überhaupt keinen Kontakt zu ihrer Familie hätte. Und genau das schien auch das Problem zu sein, denn als Sabine sich diese Konstellation auf Fabians Anweisung hin still anschaute, brach sie in Tränen aus.
    Und in diesem Moment passierte etwas Merkwürdiges mit David. Er fühlte sich plötzlich nicht direkt wie eine andere Person, aber doch nicht mehr wirklich als David. Die Nähe zu dem »Vater« begann ihn mehr und mehr zu stören; am liebsten wäre er abgerückt, woandershin gegangen. Auch Volker schien sich als Sabines Vater nicht wirklich wohl zu fühlen; er trat von einem Bein aufs andere und biss sich nervös auf die Lippen. Fabian trat zu der Gruppe, die Sabines Familie darstellte.
    »Wie geht es dir jetzt?«, fragte Fabian David.
    »Nicht gut«, sagte David wahrheitsgemäß, und noch immer wurde er das Gefühl nicht los, dass er die Worte eines anderen sagte, eines Menschen, den er nicht kannte und niemals kennen lernen würde.
    »Warum nicht?«, fragte Fabian.
    »Es ist... eng hier. Der steht hier so nah bei mir. Ich kann mich überhaupt nicht rühren. Er beobachtet mich dauernd. Ich hasse das. Ich hasse das«, wiederholte David, und es war so merkwürdig, er war gar nicht mehr er selbst, er war ein anderer. Sabines Bruder.
    »Du bist Sabines Bruder«, bestätigte ihm Fabian. »Hab keine Angst, das ist normal. Du bist jetzt ihr Bruder. Damit hilfst du ihr. Okay?«
    »Ja.« Davids schneller Puls beruhigte sich.
    »Okay. Du fühlst dich unwohl an dieser Position. Wie wäre es, wenn du dort, näher bei deiner Schwester, stehen würdest?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht besser.«
    »Dann stell dich einfach mal neben sie. Hierhin. Und? Wie ist es jetzt für dich?«
    »Besser«, sagte David.
    »Aber noch nicht ganz gut?«
    »Ich würde lieber...«
    »Ja?«
    »Neben ihr stehen. Sie nicht anschauen. Mehr für mich bleiben.«
    »Dann versuchen wir das.«
    Und so war es die perfekte Situation für den David, der Sabines Bruder spielte. Seltsamerweise sagte nun auch Sabines Stellvertreterin, dass sie sich wohler fühlte, mit ihrem Bruder an ihrer Seite und ihren Eltern als Gegenüber.
    Zum Schluss standen die »Eltern« nebeneinander und sahen ihre »Kinder« an. Sabine, die echte, wirkte glücklich mit diesem neuen Arrangement. Sie stand minutenlang davor, bis Fabian die Gruppe auflöste und sich alle wieder im Kreis niederließen.
    »Geht es dir gut, Sabine?«, fragte Fabian.
    »Ja. Sehr.«
    »Schön. Du siehst glücklich aus.«
    »Ja. Danke!«
    »Du hast nicht als Einzige gelitten in deiner Familie.«
    »Ich...«
    »Dein Bruder hat die Aufmerksamkeit deiner Eltern nicht nur genossen, sie hat ihn auch belastet. Zwei begeisterte Menschen, die immerzu das Beste von einem erwarten, sind eine Belastung.«
    »Ja, aber... Er war der Liebling zu Hause. Alle haben sich für ihn überschlagen. Ich dagegen...
    »Ja. Niemand hat dich beachtet, und du musstest mit ganz vielen Aktionen gegensteuern.«
    »Ja. Genauso war das.«
    »Immer hast du versucht, Aufmerksamkeit zu bekommen.«
    »Ja. Ja!«
    »Du hast herumgehurt, gesoffen.«
    »... Ja. Ja, das hab ich wirklich.«
    »Und jetzt, Sabine?«
    »Ich... ich weiß nicht.«
    »Jetzt hast du das nicht mehr nötig. Deine Familie steht nun so, wie du sie willst und brauchst. Sie bildet ein harmonisches Ganzes.«
    »Ja, hier schon, bei dir. Aber in Wirklichkeit... Also, meine Familie weiß ja nicht einmal, dass ich bei dir bin. Ich meine...«
    »Nichts wird bleiben, wie es ist. Das verspreche ich dir. Die Konstellationen werden sich verändern. Das ist ein

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