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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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»Wie Kalk. Sie fühlen sich auch an wie Kalk.« Fabian Stimme drang an sein Ohr.
    »Und jetzt denk doch mal darüber nach, woran dich dieses Haus erinnert. Du musst nichts sagen. Aber ich bin sicher, du hast dieses Haus oder ein ähnliches schon einmal gesehen.«
    »Nein«, sagte David, aber im selben Moment wusste er, das war nicht wahr. Er kannte dieses Haus von irgendwo her, es war …
    ... ein Foto. Es hing in der kleinen, engen Wohnung seiner Eltern mit den Fenstern auf der Nordseite an einer großen, verkehrsreichen Straße, deren Lärm nie aufhörte, nicht einmal nachts. Verdistraße, dachte David, und plötzlich befand er sich in der Wohnung, er sah, roch und spürte sie. Er hörte sie. Denn es war immer laut hier und immer dunkel. Aber im Esszimmer hing dieses riesige Poster mit dem Haus, das er gerade beschrieben hatte, und unter dem Foto stand das Wort Santorini.
    So lange er denken konnte, hing dieses Poster im Esszimmer als Ausdruck einer nie gestillten Sehnsucht, denn...
    »Du hast dich an etwas erinnert, David?« Wieder Fabians Stimme, sanft und fest. David schlug die Augen auf, Schweiß brach ihm plötzlich am ganzen Körper aus, und eine tiefe, umfassende Traurigkeit ergriff ihn. Er sah Fabian an, der immer noch vollkommen gelassen im Schneidersitz dasaß, die Augen geschlossen, das Gesicht entspannt. »Mach deine Augen zu, David«, sagte Fabian. »Du musst keine Angst vor dem haben, was du siehst. Wir werden dir hier die Angst nehmen vor dem, was du als wahr erkennst.«
    Und plötzlich fiel tatsächlich die Anspannung von David ab. Er begab sich gedanklich wieder zurück in die Zeit, in der er mit seiner Familie in der Wohnung lebte, beziehungsweise mit seiner Mutter und seiner Schwester Danae, denn sein Vater war die Woche über meistens nicht zu Hause, und wenn er da war, dann...
    ... war es...
    ... nicht sehr angenehm. David war wieder ein Kind, und sein Vater schrie auf ihn ein, und David sah trotzig an ihm vorbei auf dieses Plakat, das ein schöneres Leben in einem wärmeren Land zeigte, in dem sie trotzdem nie gewesen waren, weil sein Vater...
    »David«, sagte eine Stimme. Sie war sehr nah bei ihm. David kehrte zurück wie von einer langen Reise. Sein Gesicht, sein Körper waren schweißüberströmt. Vor ihm kniete Plessen – Fabian. »Geht es dir gut?«, fragte Fabian, aber seine Stimme klang überhaupt nicht besorgt, sondern im Gegenteil auf merkwürdige Weise überzeugt: davon, dass David sich auf dem richtigen Weg befand und dass alles gut werden würde. David lächelte. Er fühlte sich zufrieden.
    »Schön«, sagte Fabian lächelnd. Mit einer fließend geschmeidigen, kein bisschen altersgemäßen Bewegung erhob er sich und begab sich wieder an seinen Platz zurück. Die anderen Teilnehmer fingen nun an, ihre Augen wieder zu öffnen, sich zu räkeln und zu strecken. David hatte den Eindruck, dass keiner von ihnen das erste Mal hier war, und das wiederum erstaunte ihn, denn versprach Plessen – Fabian – nicht, dass man nach diesen vier Tagen unter seiner Ägide von seinen Problemen befreit sein würde? Oder gab es so etwas wie Anfänger- und Fortgeschrittenenkurse, und er war aus Versehen in Letzteres geraten? Auch er räkelte und streckte sich, um nicht aufzufallen.
    »Sabine«, sagte Fabian dann. »Ich erinnere mich, dass du beim letzten Mal deine Familie anordnen wolltest, wir aber nicht dazu gekommen sind. Möchtest du heute die Chance wahrnehmen?«
    Sabine war eine blonde, mollige Frau, die David auf Anfang vierzig schätzte. »Wir sind heute sehr wenige«, sagte sie zögernd.
    »Ja, das ist richtig«, sagte Fabian. »Ich muss euch nicht erzählen, warum das so ist, ihr habt es sicher alle in der Zeitung gelesen. Wir müssen uns heute also auf die engste Familie beschränken. Also Eltern, Großeltern, Geschwister. Nicht Onkel und Tanten. Das ist sehr schade, aber nicht zu ändern.«
    »Ja«, sagte Sabine mit enttäuschtem Gesicht. »Macht nichts.«
    »Möchtest du die Anordnung machen?«
    »Ja.«
    »Dann fang an.«
    David verstand nur Bahnhof. Was war mit Anordnung gemeint, was würde jetzt passieren? Er hatte KHK Seiler gefragt, ob es eine Broschüre oder Bücher über Plessens Therapie gebe, aber sie hatte es nicht gewusst. Er war dann in zwei Buchhandlungen gewesen und hatte sich erkundigt, und tatsächlich existierten sogar mehrere Bücher über das, was Fabian tat, aber keines davon war vorrätig gewesen, und zum Bestellen hatte er keine Zeit mehr gehabt.
    Aber alle anderen

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