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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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Versetzungsgesuche wurden abschlägig beschieden, was kein Wunder war, denn jeder seiner Kollegen wollte weg aus dieser Hölle, jeder einzelne.
    Und so hatte sein Vater, ein friedlicher, freundlicher Mann, den alle Nachbarn mochten, seine Qual an seinen Kindern ausgelassen, nie vorher und nie nachher hatte er das getan, aber in der Zeit, als David zwischen sechs und zehn Jahre alt gewesen war, hatte er ihn fast jedes Wochenende verprügelt, und immer mit dem Knüppel. Danae hatte er weniger brutal behandelt, aber Ohrfeigen bekam auch sie. David schloss die Augen, als er ihr zartes, vom Weinen verzogenes Gesichtchen vor sich sah. Und ihre Mutter hatte geweint und gleich noch mal so häufig unter Migräne gelitten, aber sie hatte ihren Kindern nicht geholfen. Sie war ihrem Mann nicht in den Arm gefallen, sie hatte ihre Kinder nicht verteidigt.
    Und danach war in dieser Familie nichts mehr zu kitten gewesen. Die Kinder sahen in eine Richtung, die Eltern in eine andere.
    Und die Wiederaufbereitungsanlage wurde nie gebaut. Alles war umsonst gewesen.
    David, der Erwachsene, war gefangen in einem Zeitloch. Er war in das Jahr 1983 gefallen und kam nicht mehr heraus, so sehr er sich auch bemühte. Er starrte immer noch auf das Plakat von der wunderschönen, sonnigen Insel, die sie niemals sehen würden, weil sein Vater nicht genug verdiente, um wenigstens einmal dort Urlaub zu machen. Mit zwanzig Jahren Verspätung spürte David den Schmerz, der ihm damals zugefügt worden war – einen realen körperlichen Schmerz. Seine gesamte Rückseite brannte, und er fühlte sich, als wäre ihm jeder Knochen im Rückgrat gebrochen worden. Er stand gekrümmt vor seiner »Familie«, die an ihm vorbeisah, ein jeder gefangen in seiner Position. Und Fabian gönnte ihm keine Ruhe, keine Erholung von diesem wüsten Trip in die Vergangenheit. So lange, bis David alles erzählt hatte, was er darüber wusste.
    Und nun dachte er, vielleicht habe er es überstanden, vielleicht würde auch irgendwann dieser schreckliche Schmerz aus der Vergangenheit verschwinden, da hörte er Fabians Stimme.
    »Und deine Schwester. Was spielt sie für eine Rolle?«
    David atmete aus, bis keine Luft mehr in seinen Lungen war. Er legte sich einfach auf den Boden, der sich so angenehm kühl anfühlte. Draußen hörte er es donnern. Das lang erwartete Gewitter.
    Er war zu schwach, um Fabian noch Widerstand zu bieten. Er leistete sich insgeheim Abbitte: Nein, er hatte nicht gewusst, welche Energie es freisetzte, wenn man jenes Gefüge sichtbar machte, das einen steuerte wie eine intelligente, gleichwohl körper- wie seelenlose Maschine. Er musste lächeln, als ihm klar wurde, dass er sich bislang als freien Mann gesehen hatte. Er war natürlich alles andere als das. Er zappelte in einem Netz, das sich über viele Generationen zog, in dem jeder seinen Platz hatte, und aus dem keiner hinauskonnte.
    Es war egal. Er konnte Fabian genauso gut die Wahrheit sagen: Es machte keinen Unterschied. Er würde sowieso nie wieder derselbe sein.
    Draußen begann der Regen zu prasseln.

26
    Mittwoch, 23. 7., 20.54 Uhr
    Mona saß mit ausgestreckten Beinen auf einem harten Bett und zappte sich durch die Kanäle des uralten Fernsehers. Sie war gerade noch rechtzeitig ins Hotel gekommen, bevor der Gewittersturm angefangen hatte. Jetzt schleuderten heftige Böen Milliarden Tropfen gegen die Schallschutzfenster, was sich anhörte wie gedämpftes Maschinengewehrfeuer. Es war neun Uhr abends, Mona hatte gerade bei Anton angerufen und erfahren, dass mit Lukas alles in Ordnung war, und jetzt war sie erschöpft. Von der Auseinandersetzung mit Berghammer am Vormittag, vom unruhigen Hubschrauberflug am Nachmittag, von der alten Frau, mit der sie mehrere Stunden verbracht hatte, ohne den Durchbruch zu erreichen, den sie dringend gebraucht hätte, um diese teure Reise nachträglich zu legitimieren. Trotzdem, hoffte sie wider besseres Wissen, war es nicht umsonst gewesen.
    Sie machte den Fernseher aus, zündete sich eine Zigarette an, legte sich zurück und blies den Rauch zur Zimmerdecke, die von vergilbten Rissen durchzogen war. Stille, bis auf die anund abschwellenden Geräusche des Unwetters. Die Nachttischlampe flackerte. Es roch nach Staub und muffigen Stoffen. Die Einrichtung war unbeschreiblich scheußlich. Lucia, Berghammers Sekretärin, hatte ihr vermutlich das billigste Hotel gebucht, das in der ganzen Stadt zu haben war. Zur Strafe, weil sie ihren Kopf bei Berghammer durchgesetzt

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