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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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mit breiter Stirn und kantiger Kinnpartie. Doch dann war weiter nichts gekommen als ein mattes: »Gesetze wie im Dschungel. Jeder gegen jeden. Das war normal.« Helga Kayser hatte sich wieder hingesetzt, war auf dem Sofa regelrecht in sich zusammengesunken und hatte plötzlich sehr alt und todkrank ausgesehen. Mona hatte nicht aufgegeben, noch nicht: »Und wie haben sich diese Gesetze ausgewirkt? Ich meine im konkreten Fall, bei Ihnen, Ihrer Familie.« Absichtlich sprach sie Fabians Namen nicht aus.
    »Ach das... Das würden Sie nicht verstehen. Und es tut auch nichts zur Sache.«
    »Vielleicht doch. Bitte sagen Sie es mir.«
    »Das geht Sie nichts an. Das liegt so lange zurück. Und es geht Sie nichts an.«
    »Bitte. Es kann wirklich wichtig sein.«
    »Nein.« Mit müder, erloschener Stimme. »Lassen Sie mich jetzt in Ruhe.«
    Da war etwas passiert, und es war vielleicht wichtig gewesen. Verdammt! Mona hatte ihre Vorsicht fahren lassen. »Ich lasse Sie in Ruhe, wenn Sie mir mehr über Ihren Bruder erzählen.«
    »Mein Gott...«
    »Frau Kayser! Hier sind zwei Morde passiert, und vielleicht passiert ein dritter, und das Opfer könnten Sie sein! Haben Sie mich verstanden? Sie sagen jetzt bitte sofort, was Sie wissen. Sonst können wir Sie nicht schützen!«
    Ein paar lange Sekunden dachte Mona, dass sie die alte Frau nun hatte. Aber dann sah sie wieder das spöttische, distanzierte Lächeln. »Das schreckt mich nicht. Ich hänge nicht am Leben. Nicht mehr. Es lohnt sich einfach nicht.«
    »Ja, das denken viele. Aber dann...«
    »Wie, sagen Sie, sind die Opfer gestorben?«
    Mona hatte es ihr zwar nicht gesagt, aber es war ja kein Geheimnis, es stand schließlich in allen Zeitungen. »Heroin. Eine Überdosis.«
    »Heroin«, hatte die Frau nachdenklich geantwortet. »Ist das nicht ein schöner Tod? Sanft und angenehm?«
    Mona hatte sie fassungslos angesehen und nicht geantwortet. Durch die geöffnete Terrassentür war der erste kühle Gewitterhauch eingedrungen.
    »Immer noch besser als Krebs, finden Sie nicht auch?«
    Blitzartiges Begreifen. »Sie sind krank?«
    »Ja. Und ich habe eigentlich gar keine Lust, mein Leben in einem Klinikbett zu beenden.«
    Und dann hatte die alte Frau doch noch einiges erzählt, aber über Fabian Plessen hatte Mona trotzdem nichts erfahren. Die Familie Plessen hatte den Westen nicht erreicht, sondern war nach langen Irrungen »im falschen Teil der Hauptstadt« bei entfernten Verwandten untergeschlüpft, weil sie im richtigen Teil niemanden kannten. Helga Kayser ließ sich lange über diese Verwandten aus, mit denen sie offenbar nicht zurechtgekommen war, und Mona hatte ein Gähnen kaum unterdrücken können. Ein letztes Mal erkundigte sie sich schließlich nach Fabians Schicksal.
    Ach ja, Fabian. Der habe sich sehr schnell, lange vor dem Mauerbau, in den Westen abgesetzt, dort ein Philosophiestudium begonnen und den Kontakt zu seiner Familie weitgehend eingestellt.
    »Sie meinen Psychologiestudium«
    »Nein. Philosophie. Fabian ist kein Psychologe.«
    »Nicht?«, fragte Mona verblüfft.
    »Nein.« Und schon wieder hatte Mona das Gefühl gehabt, dass Helga Kayser viel mehr wusste, als sie sagte. Aber alles Nachhaken ergab nichts.
    »Warum, glauben Sie, hat er den Kontakt zu Ihnen eingestellt?«, hatte Mona noch wissen wollen.
    »Das müssen Sie ihn selbst fragen. Ich hatte dann nicht mehr viel mit ihm zu tun.«
    »Gab es Streit?«
    »Fragen Sie ihn selber. Mir ist das alles egal.«
    Mona nahm den Kopfhörer ab, der unangenehm auf ihren Scheitel drückte. Sie war für ein paar Sekunden vielleicht sehr, sehr nah dran gewesen an der Wahrheit. Sie musste morgen sofort zu Plessen, und diesmal würde sie ihn nicht davonkommen lassen. Sie saß im Schneidersitz auf dem Bett und verbarg ihren Kopf in beiden Händen. Sie brauchte eigentlich eine Überwachungseinheit der hiesigen Polizei für Helga Kayser, aber Berghammer würde sich nach diesem Vernehmungsergebnis wahrscheinlich nicht dafür einsetzen, und dann wäre ein Antrag ihrerseits sinnlos.
    Und es stimmte ja: Immer noch gab es keine Beweise, dass Helga Kayser etwas wusste, das relevant war für den Fall. Bisher war da nur Monas Gefühl, dass zwei Menschen gestorben waren, weil etwas in Plessens Familie vorgefallen war. Etwas so Schlimmes, dass …
    Ja – was?
    Wenn da wirklich was war , würde Berghammer sagen und hätte Recht damit, dann liegt das fast sechzig Jahre lang zurück, und der Täter hat jetzt und hier zugeschlagen und der ist

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