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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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trügerische Weise harmloser – rumorten schon seit Tagen in seinem Kopf herum, sein Blickwinkel hatte sich wieder auf charakteristische Weise verschoben: Die Welt erschien ihm in diesem unerträglich scharfen Licht, das ihre schartigen Konturen sichtbar machte und ihre Brüchigkeit spürbar. Um diese unangenehme Hellsichtigkeit zu beenden, musste er etwas tun, das die Dämonen besänftigte. Er dachte nicht nach, als er in sein Zimmer ging und sein Gewehr holte. Seine Mutter hatte Sonntagsdienst in der Klinik; er war ganz allein. Das alte Haus schien zu knistern und zu knacken unter der trockenen Hitze, die staubige Luft legte sich auf seine Lunge. Er trank ein großes Glas Wasser in der Küche, bevor er das Gewehr schulterte und aufbrach.
    Langsam arbeitete er sich durch den Erlengürtel am Ufer weg vom See in den dichteren Wald hinein. Insekten summten um ihn herum, ansonsten schien die Natur ein Mittagsschläfchen zu halten: Eigentlich war es die falsche Zeit, um auf die Jagd zu gehen, vor allem im Sommer. Aber die Dämonen hielten sich nicht an solche Termine. Sie schrien und flüsterten, versuchten, ihn in bestimmte Richtungen zu drängen – und nach einigen Versuchen, sie zu überhören, gab er ihnen nach. Bald bewegte er sich wie in Trance, Schritt für Schritt voran. Zweiglein knackten unter seinen Schuhen, Schweiß lief ihm über das Gesicht, selbst der Schatten der Fichten und Kiefern spendete keine Kühle mehr.
    Und dann hielt er plötzlich inne. Da war ein Geräusch, das nicht in den Wald gehörte. Ein leises Stöhnen, dann unterdrücktes Gekicher. Der Junge verhielt mitten im Schritt, das Gewehr drückte auf einen Nerv seines Rückens; er verlagerte es vorsichtig auf die andere Seite. Ein Specht klopfte seine monotone Botschaft in den Stamm, im Unterholz raschelte es. Der Junge blieb regungslos stehen und schärfte seine Ohren. Wieder vernahm er das leise Stöhnen; es war ganz in seiner Nähe und kam von... links vorne. Der Junge nahm das Gewehr ab und legte es lautlos auf den Waldboden. Dann kniete er sich auf den Boden und kroch, jeden überflüssigen Laut vermeidend, hin zu der Quelle der fremden Geräusche.
    Nach ein, zwei Minuten stieß er auf eine winzige Lichtung, und dort lag Bena mit jemandem aus der Schule, der, soweit sich der Junge erinnerte, Paul hieß und zwei Klassen über ihr war. Der Junge zuckte zurück und zwar nicht gerade leise, aber das Paar war zu beschäftigt, um ihn zu bemerken. Die beiden lagen auf einer bräunlich gemusterten Wolldecke, Bena hatte sich halb über Paul gebeugt, ihr dunkles Haar fiel an einer Seite herunter und schien seine Wangen zu streicheln. Sie war splitternackt. Der Junge sah zum ersten Mal Benas weiße Brüste, die einen scharfen Kontrast zu ihrem braunen Bauch bildeten (sie wollte nie nackt baden wie die anderen es oft taten, sie trug immer einen Bikini; auch das hatte dem Jungen an ihr gefallen). Paul zog sie nach unten; seine Lippen schienen mit ihren zu verschmelzen, und schließlich kniete sich Bena mit der größten Selbstverständlichkeit rittlings über ihn und führte den steifen Schwanz Pauls in ihre... ihre …
    Der Junge schloss die Augen und sah feurige Räder. Schließlich schaute er wieder hin, er konnte nicht anders.
    Langsam bewegte sich Bena auf und ab, das Gesicht in den Himmel gehoben. Sie schien nichts um sich herum wahrzunehmen. Paul stöhnte laut auf.
    Der Junge konnte sich nicht rühren vor Entsetzen und Erregung.
    Nach einer ihm endlos scheinenden Zeit kroch er wieder zurück, während die beiden sich in ein lautes und furioses Finale steigerten, sodass er sich kaum vorsehen musste. Bena würde ihn nicht bemerken, und Paul war ihm egal. Als er weit genug weg war von der verstörenden Szenerie, erhob er sich. Seine Muskeln zitterten; er klopfte sich mechanisch Erde und Kiefernnadeln von der Hose ab. Gesicht und Kleidung waren schweißnass und verdreckt. Er onanierte hastig, um das unerträgliche Spannungsgefühl loszuwerden und ergoss sich schließlich unter Krämpfen ins ausgetrocknete Moos.
    Danach lehnte er sich an einen Kiefernstamm und starrte vor sich hin. Er dachte an nichts. Es gab nichts zu denken oder zu beschließen; er wusste nur, dass ein neuer Abschnitt begonnen hatte. Eine andere Zeitrechnung.
    Als Bena ihn abends besuchen wollte, erhitzt und glücklich und nicht ahnend, was sie angerichtet hatte, machte er ihr die Tür vor der Nase zu. Er war nicht einmal böse auf sie oder eifersüchtig. Es war nur so, dass sie ab

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