Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
Politikern auch vorrechnen, was die sinnlose Verlängerung der Behandlung fremder Patienten volkswirtschaftlich bedeutet. Man könnte ihnen auch zu bedenken geben, ob es nicht längst an der Zeit wäre, eine Art interkulturelles Mobil-Team für jede Region zu installieren, das wie die Feuerwehr bei Bedarf schnell zur Stelle ist, um qualifizierte Verständigung zu ermöglichen. Das würde dem medizinischen und pflegerischen Personal ihre schwierige Arbeit enorm erleichtern und gleichzeitig zu einer ständigen Weiterbildung beitragen. Die Kosten einer solchen Maßnahmewären mit Sicherheit nicht so hoch wie die Folgekosten einer falschen Diagnose und die Ausgaben für eine langwierige, zermürbende Behandlung, die durch interkulturelle Missverständnisse verursacht wurde.
    Ohne die Hilfe sprachlich qualifizierter Fachleute werden wir es schwer haben, Fremde in Krankenhäusern zu heilen.
    Wir bilden uns ein, Weltbürger geworden zu sein, nur weil wir schon zweimal Karibik, einmal Ägypten und dreimal Südafrika gebucht haben. Und am Ende müssen wir feststellen, dass wir das Abc dieser Kulturen nicht verstanden haben.
    Kultur ist das gesamte Gemälde eines Lebens, das sich von den Gemälden anderer Gesellschaften unterscheidet. Krankheit gehört ebenso wie ihre Ursachen zu diesem Gemälde und drückt sich von Gesellschaft zu Gesellschaft verschieden aus.
    Es gibt auch Krankheiten, die nur bestimmte Völker befallen. Die Mittelmeeranämie, eine Armut an roten Blutkörperchen, ist erblich und in der Regel harmlos. Angeblich ist diese hämolytische Anämie eine biologische Reaktion auf die Malaria. Die Veränderung durch sie macht das Blut resistenter gegen Malaria. Meine Erklärung aber lautet: Die Mittelmeeranämie ist der genetisch eingespeicherte Hunger der Mittelmeervölker. Ich kann das medizinisch nicht beweisen, wohl aber historisch.
    Nicht nur die jeweilige Erkrankung ist ein Bestandteil vom Kulturgemälde eines Volkes, sondern auch die Gesundung. In der Art und Weise, wie Menschen heilen, sind sie so unterschiedlich wie in ihrer Sprache. Viele Krankheiten, etwa bakteriell bedingte, vergehen in Europa schneller als in den ärmlichen Ländern. Hier weist die Schulmedizin bei ausreichender Auswahl an Medikamenten ihre besten Erfolge auf. Andere Erkrankungen wie die Schizophrenie heilen, wie eineWHO-Studie zeigte, in südlicher Sphäre viel effektiver als in den hochmodernen Gesellschaften Europas.
    Ob diese Gesellschaften im Süden über ein Zaubermittel verfügen, auf das die reichen Mediziner im Norden nicht zurückgreifen können? Die Antwort lautet: Ja. Die Kranken werden in südlichen Gesellschaften von ihren Verwandten, Freunden und Nachbarn weniger abgelehnt. Die Trennlinien zwischen Realität und Wahn werden in diesen Ländern weniger streng gezogen, die Anforderungen an Leistung und Ordnung sind dort nicht so hoch. Das alles und noch mehr erlaubt den Kranken eine schnellere Rückkehr in den Alltag und die Wiedereingliederung in die Gesellschaft.
    In unserer perfekten Welt genügt manchmal ein Ausrutscher, und schon ist man für immer aus der Bahn geworfen.
    Erinnern Sie sich an den irakischen Patienten und seine Schwester? Wochenlang hatte er Probleme gemacht, bis die Leitung des Krankenhauses einlenkte und seiner Schwester erlaubte, bei ihm zu übernachten. Von da an war er ganz selig, die Heilung erfolgte in einem solchen Eiltempo, dass er bald nach Hause gehen und seine Arbeit wieder aufnehmen konnte.
    Hier war nicht nur die Sprache das Hindernis. Denn auch nachdem ich alles wortgetreu übersetzt hatte, verstanden die Mediziner nichts. Natürlich konnten weder der Patient noch ich den gesamten mythischen, religiösen, kulturellen Hintergrund erklären, um verständlich zu machen, wie ein Orientale seine Krankheit auffasst und warum er sie immer mithilfe seiner Nächsten am besten besiegen kann. Im naturwissenschaftlichen Studium der Medizin und in der auf Rationalität und Kostendämpfung gerichteten Ordnung der Krankenhäuser gab es zunächst keinen Platz für solch ein magisches, ganzheitliches Verständnis von Krankheit und Heilung.
    Leider ist die Reaktion auf die Fremden in der Regel nicht das mutige Eingeständnis, dass man keine Ahnung von der Ursprungsgesellschaft hat, aus denen die fremden Patienten stammen, sondern eine Flucht nach vorne. Man kaschiert sein Unwissen schnell mit Überheblichkeit. Und Fragen wie »Was soll es mit den heilenden Händen? Was soll der Quatsch mit dem bösen Blick?

Weitere Kostenlose Bücher