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Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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aus einer wohlhabenden christlichen Familie. Er wurde, obwohl hoch begabt, mit Gewalt aus der Schule gerissen und trauerte dieser Niederlage sein Leben lang nach. Er las wie besessen und quälte sich wie viele Araber damit, Gedichte, philosophische und theologische Lehrsätze auswendig zu lernen. Er kannte die Bibel in- und vor allem auswendig.
    Meine ersten dichterischen Versuche führte ich unter seiner Aufsicht durch. Ich war gerade zwölf. Wir saßen auf der Terrasse, und er sagte mir, dass er von den Lehrern gehört habe, ich sei sehr begabt, vor allem in der Sprache, und das hätte ich von ihm. Nun, mein Vater hatte alle angesehenen Eigenschaften immer auf seine Gene zurückgeführt und jedwedes schlechte Benehmen auf die meiner Mutter. Deshalb achtete ich ihn und liebte meine Mutter.
    »Lass uns mit Gedichten spielen«, schlug er vor, »ich sage einen Vers auf, und du musst dann einen aus dem Gedächtnis vortragen, dessen erstes Wort mit dem Buchstaben anfängt, mit dem mein Vers endet, und dann bin ich wieder dran.«
    Das war das erste Mal in meinem Leben, dass man mit mir nicht mit Dattelkernen, Murmeln oder Karten, sondern mit Gedichten spielte. Das war sein Verdienst. Also spielten wir, und er achtete auf Pathos und Aussprache, und bald legte ichihn rein. Ich reimte geschwollene Worte und schob sie Dichtern in die Schuhe. Er war oft verwundert.
    »Was, wirklich? Hat Alma’ari das gesagt? Habe ich noch nie gehört, aber es hört sich schon nach Alma’ari an«, sagte er und bemühte sich, einen Vers als Antwort zu finden. Vater schummelte nie. Er war sehr gläubig und schwitzte vor Aufregung. Heute bin ich nicht mehr sicher, ob er nicht schummelte und ob er meine ersten Nachdichtungen nicht doch durchschaut hatte, aber sicher bin ich heute noch, dass ich in seinen Augen als Dichter galt, und Dichter betete mein Vater an. Und darunter musste ich leiden.
    Von nun an achtete er bei mir wie bei keinem anderen seiner sechs Kinder darauf, was ich lesen sollte. Er verachtete Krimis, und ich liebte sie. Ich las sie heimlich und massenhaft. Er wollte mit mir dann zu den jeweiligen christlichen Feierlichkeiten dichten. Wir saßen in seinem Zimmer, und keiner durfte uns stören, denn wir dichteten. Es waren Lobgedichte auf Jesus und Maria. Eines davon könnte etwa so gelautet haben:
    Jesus, Du lieber Gottessohn
    wegen mir ertrugst Du Schmerz und Hohn
    Deine Gnade ist der Buße Lohn
    und bringt mich einst zu Gottes Thron.
    Dabei suchten wir fieberhaft nach allem, was mit »o(h)n« endete, und stießen auf die exotischsten Begriffe. Wir zwängten sie mit Gewalt zu einem Irrsinn, der eher mit Dada als mit Jesus zu tun hatte.
    Bald wurde es unerträglich. Ich hatte die anfängliche Freude verloren, weil die Themen immer wieder in religiöse Dichtung mündeten; auch wenn ich über Sonne und Mond dichten wollte, fügte mein Vater spätestens nach zehn Minuten einen Vers über die Schöpfung hinzu, und von da war esnicht mehr weit, bis wir bei Jesus, seiner Kreuzigung und Auferstehung landeten.
    Mein Vater glaubte dermaßen an meine Begabung, dass er aus mir einen Pfarrer machen wollte. Er schickte mich in ein Kloster, den strengen »Orden des Erlösers« im Libanon. Fast drei Jahre blieb ich dort, und ich wurde kein Pfarrer, sondern ein Büchernarr. In diesem Kloster gab es eine der schönsten Bibliotheken der Welt. Sie wurde etwa dreißig Jahre später im Bürgerkrieg zerstört. In dieser herrlichen Bibliothek wurde ich büchersüchtig.
    Dann jedoch erkrankte ich an einer gefährlichen eitrigen Meningitis. Die strengen Patres hielten meine Ohnmachtsanfälle für gespielt, um mich von der Erntearbeit zu drücken. Der unerwartete Besuch meines Vaters rettete mir das Leben. Als er meinen Zustand sah, tobte er. Ich wurde eiligst nach Beirut in das französische Krankenhaus Hôtel Dieu gebracht. Ich lag Wochen auf der Intensivstation, bis die Gefahr gebannt war.
    In dieser Zeit hatte ich ein Erlebnis, das meinen literarischen Stil bis heute beeinflusst.
    In einer dieser Nächte besuchte mich der Tod. Ich fieberte stark, und im Dämmerzustand sah ich ihn. Er saß an meiner Bettkante und schaute mich an.
    »Woran denkst du?«, fragte er.
    »An eine Geschichte, die ich im Kloster erfunden habe und meiner Mutter erzählen wollte.«
    »Lass mal hören«, sagte der Tod neugierig.
    Ich erzählte ihm fast eine Stunde, und da erreichte die Geschichte einen Höhepunkt. Ich hielt inne.
    »Und? Wie geht die Geschichte weiter?«, fragte

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