Damenschneider
vorderhand von seinen schwermütigen Gedanken. Nachdem sie ihm zärtlich über das Haar gestrichen hatte, küsste sie ihn auf die Nase und sagte fröhlich:
»Ich mach’ uns jetzt erst einmal einen Kaffee. Dann kannst du mir auch gleich erzählen, welche Bewandtnis es eigentlich mit deinem überraschenden Besuch hatte. Oder habe ich deine Fragen schon beantwortet?«, fügte sie schalkhaft hinzu.
»Das hast du tatsächlich – ich wollte dich einfach nur sehen«, stotterte er nach einer innigen Umarmung, wobei ihn seine ungewohnte Offenherzigkeit mit einem leichten Schrecken erfüllte. Hatte er sich nicht gerade geschworen, dieses Mal vorsichtiger zu sein?
Aber Claras Reaktion zerstreute sofort seine Gedanken.
»Eine solche Antwort habe ich erhofft. Mit Milch und Zucker? Und ein wenig Musik?«, fragte sie fröhlich, während sie sich ihm geschickt entzog und in anmutiger Nacktheit das Zimmer verließ.
»Ja, aber bitte nichts mit einem Countertenor«, rief er ihr hinterher, was sie mit einem glucksenden Lachen quittierte.
Schon bald vermischten sich Walzens glückliche Gedanken mit den herrlichen Klängen von Berlioz’ »Romeo et Juliette« und, nach den vielversprechenden Geräuschen einer Espressomaschine, mit dem anregenden Duft von frisch gebrühtem Kaffee.
»Warum? Magst du Florian etwa nicht?«, fragte sie ihn mit einem schelmischen Lächeln, während sie auf einem kleinen Tablett zwei Tassen Kaffee, eine Zuckerdose und ein Kännchen mit geschäumter warmer Milch hereinbalancierte.
»Darf ich ehrlich sein?«, fragte er sie, während sie die Getränke auf das Bett stellte, und dabei Walz aufreizend ihre Brüste präsentierte. Doch seine dahin gehenden Gedanken wurden sogleich durch den ernsten Ausdruck auf ihrem Gesicht unterbrochen.
»Eins will ich unserer Romanze oder was immer sich einmal daraus entwickeln mag, gleich voranstellen: Sei bitte immer ehrlich zu mir. Für Unwahrheiten ist unser Leben zu kurz und eine Liebe zu kostbar.«
»Besser hätte ich es auch nicht ausdrücken können … Nein, offen gestanden mag ich ihn nicht besonders. Er ist sicherlich ein guter Sänger und hat wahrscheinlich noch eine große Karriere vor sich, aber seine selbstgefällige Art geht mir gehörig auf die Nerven. Er benimmt sich schon jetzt wie eine alternde Operndiva. Und das passt einfach nicht zusammen. Ich weiß, dass ihr befreundet seid, und ich werde mich ihm gegenüber auch immer dementsprechend verhalten, aber mögen muss ich ihn deshalb nicht – oder kränkt dich das?«
»Nein, die Frage war nicht ganz ernst gemeint, deine Einstellung zu ihm hast du nach seinem Konzert ja auch deutlich zum Ausdruck gebracht. Ich verstehe dich ja. Wenn er jemanden nicht näher kennt, glaubt er immer, sich wie weiß Gott wer präsentieren zu müssen. Aber das ist nichts anderes als überspielte Unsicherheit, glaube mir. Das Leben hat es nicht immer gut gemeint mit ihm.«
»Dafür macht er aber einen ziemlich selbstzufriedenen Eindruck«, brummte Walz, während er behutsam Milch in seinen Kaffee goss. »Er hat ja auch allen Grund dazu. Er schaut gut aus, und wie es scheint, ist er auch in seinem Beruf ziemlich erfolgreich. Vielleicht hat er es mit seiner Mutter nicht so gut getroffen, aber wenigstens hat sie ihm den Gefallen getan, früh zu sterben und ihm viel Geld zu hinterlassen … Zumindest habe ich den Eindruck gehabt, als wir ihn damit konfrontierten, dass seine Mutter keines natürlichen Todes gestorben sei, hat ihn das völlig kalt gelassen.«
»Das wundert mich nicht … Ich fürchte, das Geld ist nicht alles, was sie ihm hinterlassen hat. Ich habe das Gefühl, dass Florian eigentlich dringend einer Therapie bedarf. Seine Minderwertigkeitskomplexe, und auf nichts anderes deutet sein großspuriges Verhalten hin, kommen ja nicht von ungefähr«, nachdenklich trank sie einen Schluck Kaffee und fuhr dann zögernd fort. »Du musst wissen, dass seine Mutter, die sich auf emotionaler Basis ja herzlich wenig um ihn gekümmert hat, ihren ganzen Ehrgeiz in seine Singerei gesetzt hat. Wenn er zum Beispiel am Wochenende einmal wie jeder normale Junge Fußball spielen wollte, hat sie es ihm nicht erlaubt, wenn er nicht vorher zwei Stunden Stimmübungen gemacht hatte. Dazu musste er noch weitere zwei Stunden Klavier üben. Und das täglich, auch am Wochenende. Nach der dritten Absage haben ihn dann seine Freunde eben nicht mehr gefragt. Mit dem Ergebnis, dass Florian bald keine Spielkameraden mehr hatte. So kann sich ja kein
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