Damian
Kind“, gibt sie zu. „Naja, du weißt schon, als junges Mädchen träumt man von diesem einen Prinzen aus Tausend und einer Nacht, der einen in seinen Palast einlädt und seine ewige Liebe schwört“, ergänzt sie ein wenig verlegen. Damian kann sich ein winziges Grinsen nicht verkneifen. Wenn sie wüsste, dass ein Teil ihres Mädchentraumes in Erfüllung gegangen ist. Die Scheinwerfer tauchen diese fantastische Kulisse in märchenhafte Farben. Rachel kann sich nicht sattsehen an all den wunderbaren Statuen, den mächtigen Pylonen und den Obelisken. Immer wieder bewundert sie die Zeichnungen und Reliefs und hört aufmerksam und interessiert zu, wenn Damian ihr die Inschriften erläutert. Fast scheint es, als lese er ihr vollkommen ungezwungen und mit einer erschreckenden Leichtigkeit vor, welche Geschichten die Malereien zu erzählen haben. Sie wandeln bestimmt schon eine Stunde durch den Tempel, von weitem hören sie die Musik und lauschen den fremdartigen Worten der Schauspieler unten am See, als Damian plötzlich ihre Hand nimmt und sie weit abseits zum westlichen Ende der Tempelanlage führt. Etwas außer Atem findet sich Rachel in einem überdachten Raum wieder, in den nur spärlich das Licht der Scheinwerfer nach innen dringt. Das, was sich ihr jedoch offenbart, ist an Schönheit und Farbenpracht kaum zu übertreffen.
„Das Allerheiligste.“ Damian deutet auf einen Schrein am Ende des Raumes. Rachel geht einen Schritt auf die Wand vor ihr zu.
„So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen“, flüstert sie ergriffen. Damian hat sich nah hinter sie gestellt.
„Schließ die Augen Rachel!“, bittet er sie mit sanfter Stimme.
„Aber…“, versucht sie zu widersprechen.
„Vertrau mir. Schließ die Augen!“ Rachel tut, was er von ihr verlangt. Sie spürt seinen Atem, in ihrem Nacken, nah an ihrem Hals. „Schau mit deinem Herzen“, flüstert er in ihr Ohr und ein Schauer gleitet über ihren Rücken. Du gute Güte, dieser Mann übt eine unglaubliche Macht auf sie aus und Rachel wird es fast schwindelig, bei dem Tempo, in dem ihr Puls rast. Damian nimmt ihre Hand und führt sie sacht zu der Steinwand. Dabei presst er seinen Körper gegen den ihren und Rachel hat ernsthaft die Befürchtung jeden Moment würden ihre Knie versagen, denn es fühlt sich wunderbar an, ihn so nah zu spüren. Er führt ihre Hand langsam und sanft über die Einkerbungen an der Wand.
„Fühlst du es?“, will er leise von ihr wissen und Rachel nickt. „Ich zeige Dir mein Ägypten.“
Vor Rachels geschlossenen Augen spielt sich plötzlich etwas Unglaubliches ab. Die Bilder, auf die sie eben noch einen kurzen Blick werfen konnte, fangen an sich zu bewegen. Die Figuren beginnen zu laufen, werden plastisch, dreidimensional. Die Männer tragen Körbe mit Früchten, lachen und reden miteinander. Sie laufen an den Ufern des Nils entlang. Rachel sieht den Fischern zu, wie sie ihren Fang in ihr Boot hieven und hört das Lachen von Kindern, die im seichten Uferwasser plantschen. Dort drüben sitzen Steinmetze und arbeiten mit Hammer und Meißel an einem Granitblock. Junge Frauen reichen den Handwerkern aus Kübeln frisches Wasser und die Männer trinken dankbar das erfrischende Nass. Ihre Hand gleitet weiter über die Einkerbungen in der Wand. Für den Bruchteil einer Sekunde verschwimmt ihre Sicht. Dann wird wieder alles klar und sie erkennt einen prachtvollen Palast. Gelehrte in weißen Gewändern, Schreiber, Architekten und Maler wandeln durch die schattigen Arkaden und plaudern miteinander. Wunderschöne Frauen in langen, weißen Kleidern, mit ihren kohleumrandeten Augen und glänzenden, schwarzen Haaren sitzen kichernd an einem Teich. Plötzlich und vollkommen unvermittelt wird sie aus dieser Vision gerissen. Taumelnd reißt sie die Augen auf und ist froh, dass Damian immer noch hinter ihr steht und sie auffängt.
Langsam dreht sie sich zu ihm um. Er hält sie immer noch in seinen Armen. Sie blickt mit großen, fragenden Augen zu ihm auf.
„Was …?“, ist alles, was sie über ihre Lippen bekommt, denn Damian senkt sein Gesicht langsam zu ihr herab und sie glaubt in seinem sehnsuchtsvollen Blick zu versinken. Schon schließt sie die Augen und erwartet seine Lippen auf den ihren zu spüren. Aber nichts geschieht. Sie hört Stimmen, die sich dem Haus nähern und reißt erneut die Augen auf.
„Wir sollten gehen“, ist alles, was Damian mit rauer Stimme zustande bringt, nimmt ihre Hand und führt sie eilig aus dem Raum.
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