Damian
und er muss zugeben, dass diese Tatsache ihn mehr als beunruhigt. Verliert er womöglich auch noch diese Gabe? Er schließt für einen kurzen Augenblick seine brennenden Augen. Ist es denn wirklich eine „Gabe“? Wird man nicht mit besonderen Gaben „gesegnet“? Nein, ein Segen ist das, was er ist und das, was er im Stande ist anderen anzutun, ganz bestimmt nicht. Es ist die Hölle, die er Tag für Tag durchlebt. Früher hat er es genossen, die Menschen zu manipulieren, in dem er in ihre Gedanken eingedrungen ist und sie hat tun lassen, was ihm gefiel und von Vorteil war. Aber seit hunderten von Jahren interessiert es ihn nicht mehr, was die Menschen denken und er hat es kaum noch nötig, Menschen für seine Zwecke zu missbrauchen. Er ist reich, hat so viel Geld, dass er es kaum noch zählen kann. Und irgendwelche anderen Ambitionen, politisch oder gesellschaftlich, hat er nicht. Es liegt in der Natur seiner Person sich möglichst unauffällig unter den Sterblichen bewegen. Die wenigen Male, in denen er eine Frau manipuliert, sie zu sich holt, um sich zu nehmen, was er braucht, die zählen eigentlich nicht. Er hat kein schlechtes Gewissen dabei, Frauen zu benutzen, um seine Gier nach Blut zu befriedigen. Wenn er in ihr Unterbewusstsein eindringt, um sie zu verführen sich ihm hinzugeben, dann schenkt er ihnen meist eine sehr erotische Fantasie und welche Frau fände es nicht aufregend von einem Mann wie ihm verführt zu werden! Die Gedanken der Menschen…, tausendfach hat er sie gelesen…, so viel Missgunst, Habgier, Wut und Gewalt. So viele Lügen, Tränen und Trauer. Nur selten sind es Momente gewesen, in denen ihm Gedanken des Glücks, Friedens, Geborgenheit und der Liebe offenbart wurden. Liebe…! Damian fährt sich mir der Hand über das Gesicht, streicht seine Haare zurück. Dabei entgeht ihm natürlich nicht das Zittern seiner Hand. Seit Jahren sieht er seinem eigenen Verfall zu und es wird schlimmer, von Tag zu Tag.
Seine Gäste steigen inzwischen in den Geländewagen und fahren los. Er hört das Zuschlagen der Türen und das kurze, brummende Aufheulen des Motors. Damian stützt sich mit den Ellenbogen auf der Schreibtischplatte ab und legt sein Gesicht in die Hände. Seine Finger sind eisig. So wie sein ganzer Körper. Diese unbarmherzige Kälte nimmt immer mehr von ihm Besitz. Was passiert mit ihm? Wird er konsumiert von diesem schwarzen, eisigen Nichts in seinem Inneren? Er richtet sich auf und blickt sich um: sein Arbeitszimmer ist eine einzige Schattierung in grau, weiß und schwarz. Was gäbe er dafür zu wissen, welche Farbe die Augen von Rachel haben. Aber er wird es wohl niemals erfahren. Er legt seine klammen Finger auf die Tastatur seines Laptops und beginnt zu arbeiten. Er wird sich später ausruhen, um sich dann zum Abendessen wieder besser zu fühlen.
Die Ausgrabungsstätte ist unspektakulär. Das einzige was darauf hindeutet, dass hier etwas stattfindet, ist der große, schwer in die Jahre gekommene, rostige Wohnwagen und ein paar lustlos in der Gegend herumstehende Ägypter.
„Zunächst werden wir die Pläne studieren und dann die betreffenden Gräber aufsuchen“, erklärt Professor Rubins tatendurstig und stapft entschlossen durch den Sand, hin zum Wohnwagen. Rachel sieht sich inzwischen um. Sie steht mitten in der Wüste, in einem Tal, das nach Westen von einem Felsmassiv abgegrenzt ist. Und hinter diesem Felsmassiv liegt das Tal der Könige und einige hundert Meter entfernt, dort hinter einem Felsen liegt die Arbeitersiedlung Deir el-Medina. Sie nimmt ihre Kamera zur Hand und beginnt die ersten Fotos von der Umgebung zu machen. Sie will ja nicht undankbar sein, aber viel lieber wäre sie jetzt auf der anderen Seite der Felsen und würde die Gräber der berühmten Pharaonen fotografieren. Sie kann einen winzigen Seufzer nicht unterdrücken, als sie sich erneut umblickt: Sand, nichts als Wüstensand, die Überreste einer weiteren, viel kleineren Arbeitersiedlung und die Ruinen von bereits freigelegten Gräbern. Es sind die Grabstätten der Arbeiter, hat man ihr erläutert. Hier also lebten die Menschen, die die prachtvollen Gräber der Pharaonen ausgehoben, gebaut und schließlich auch reich verziert haben. Steinmetze, Architekten, Künstler und deren Familien sind hier vor tausenden von Jahren ihrer Arbeit nachgegangen und sind hier auch gestorben. Entgegen früheren Annahmen wurden zahlreiche Bauwerke nicht von Sklaven, sondern von Männern aus dem eigenen
Weitere Kostenlose Bücher