Damit Dein Leben Freiheit Atmet
der Sexualität zum Ausdruck kommen. Aber es geht darum, in der Ekstase der Liebe zu Gott sich selbst zu vergessen, anstatt nur um seine euphorischen Liebesgefühle zu kreisen.
Der fünfte Bereich, der in der dunklen Nacht der Sinne gereinigt werden muß, ist der Zorn. Es ist eine Erfahrung, die wir immer wieder mit geistlichen Menschen machen können, daß sie oft sehr gereizt sind und schnell zornig werden: »Weil
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sie nun ein Unbehagen in sich verspüren, empfinden sie bei allem, was sie tun, Unmut, geraten wegen jeder Kleinigkeit sehr leicht in Zorn und sind manchmal unerträglich.« (Ebd. 48) Man würde meinen, daß spirituelle Menschen besonders ausgeglichen und liebevoll seien. Aber das Gegenteil ist oft der Fall. Es zeigt, daß sie ihren spirituellen Weg nicht gehen, um wirklich Gott zu suchen, sondern um durch Gott schöne Gefühle zu bekommen.
Johannes vergleicht solche Menschen mit kleinen Kindern.
Sobald sie von der Mutterbrust genommen werden, steigen Unbehagen und Unlust in ihnen hoch. Menschen, die bei solch infantiler Frömmigkeit stehenbleiben, sind oft für ihre Umgebung unerträglich. Sie merken gar nicht, wie egozentrisch sie nur um sich kreisen. Auch wenn sie über ihre spirituellen Erfahrungen sprechen, ist es nur religiöser Narzißmus. Andere -
so meint Joha nnes - beobachten ständig ihre Mitmenschen bei ihrem geistlichen Tun. Sie urteilen hart über die anderen »und schwingen sich damit zu Herren der Tugend auf« (ebd. 49). Sie werden hart in ihrem Urteil und glauben dadurch, die Radikalität Jesu zu verwirklichen. In Wirklichkeit kommt ihre Härte von der Unterdrückung und Verdrängung der eigenen Bedürfnisse.
Von dieser inneren Härte kann man nur durch den
Läuterungsprozeß der dunklen Nacht befreit werden.
Die Reinigung, von der Johannes vom Kreuz spricht, betrifft weniger die neun Leidenschaften, die Evagrius Ponticus beschrieben hat. Bei Evagrius kann man von einer ethischen Reinigung sprechen. Der Mensch wird durch den spirituellen Weg menschlich reifer, bewußter, klarer. Er wird frei von moralischen Fehlhaltungen. Und es ist bei Evagrius eine psychische Reinigung. Die Leidenschaften hören auf, die Klarheit seines Geistes zu trüben. Sie sind integriert in das spirituelle Leben des Mönches. Kontemplation führt also auch zur Reinigung der Seele von allen verdrängten Begierden und Trieben. Der Mensch kommt in Berührung mit seinem wahren
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Selbst. Die Reinigung bei Evagrius führt zur Selbstwerdung des Menschen, zu innerer Klarheit und Freiheit.
Bei Johannes geht es vor allem um die Beziehung zu Gott.
Und da ist die größte Gefährdung, daß wir Gott mit unserem eigenen Ego vermischen. Wir benutzen Gott für uns. Die spirituelle Gefährdung, Gott für sich zu mißbrauchen, kann alle neun logismoi erfassen, deren Wirkung Evagrius so
eindrucksvoll analysiert hat. Die Leidenschaften können unsere Beziehung zu Gott trüben, wenn sie nicht durch den asketischen Weg gereinigt werden. Es gibt die geistliche Habsucht, sich immer mehr spirituelles Wissen anzueignen. Es gibt die geistliche Unzucht, wenn einer Gott dazu mißbraucht, in sich ekstatische Gefühle hervorzurufen. Es gibt die geistliche Völlerei, wenn einer hungrig ist nach Gebetsformen, aber nicht bereit ist, sich in Gott hineinfallen zu lassen. Die Traurigkeit als Selbstmitleid und Ausdruck der Enttäuschung, daß Gott meine Wünsche nach schönen Gefühlen nicht erfüllt, trübt meine Liebe zu Gott. Der Zorn kann sich gegen mich und meine mangelnde Gotteserfahrung richten. Die Akedia zerreißt mich und macht mich unfähig, Gott zu begegnen. Die Ruhmsucht kann die geistlichen Erfahrungen zunichte machen. Wenn ich mit jeder Gotteserfahrung angebe, dann mißbrauche ich Gott. Es geht mir dann nicht um Gott, sondern um mich selbst. Ähnlich ist es mit dem Neid. Ich möchte spiritueller sein als die anderen. Auch im geistlichen Leben vergleiche ic h mich mit anderen. Ich messe meine Stufe, auf die ich geistlich schon geklettert bin, mit den Stufen der anderen. Die schlimmste aller Gefährdungen allerdings ist die Hybris. Ich identifiziere mich mit einem hohen Ideal und weigere mich, mein Menschsein anzuschauen. Für C.
G. Jung verfallen dieser Gefährdung gerade diejenigen, die sich mit archetypischen Bildern identifizieren, etwa mit dem Bild des Propheten, des Märtyrers, des Heilers, des Heiligen, des spirituellen Menschen. Wer sich mit einem archetypischen Bild identifiziert, wird blind für die
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