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Damit Dein Leben Freiheit Atmet

Damit Dein Leben Freiheit Atmet

Titel: Damit Dein Leben Freiheit Atmet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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Frömmigkeit Gott hinhalten und sie von ihm in Frage stellen lassen, ob sie nicht getrübt ist durch eine Ideologisierung krank machender Lebensmuster, ob ich nicht Gott für mich benutze, anstatt mich im Gebet Gott hinzugeben.

    Die Reinigung im Gebet kann auf zwei Weisen geschehen: einmal indem ich im Gebet Gottes Liebe in das Trübe und Schmutzige in mir einfließen lasse; zum ändern indem ich den inneren Dreck aus mir herauswerfe. Ich stelle mir dann vor, daß ich vor Gott sitze und alles in mir aufsteigen lasse, was hochkommt. Und das werfe ich dann Gott vor die Füße. Der hl.
    Benedikt hat diese zweite Methode offensichtlich im Blick, wenn er dem Mönch rät: »Schlechte Gedanken, die sich in unser Herz einschleichen, sofort an Christus zerschmettern und dem geistlichen Vater eröffnen.« (Benediktsregel 4,50) Benedikt bezieht sich hier auf Psalm 137,9: »Wohl dem, der deine Kinder packt und sie am Felsen zerschmettert.« Die Kirchenväter haben diesen Vers auf die bösen Gedanken bezogen. Der Fels war für sie ein Bild für Christus. Schon im Prolog der Regel hatte Benedikt davon gesprochen, daß der Mönch die »Teufelskinder von Gedanken packt und an Christus zerschmettert« (ebd.,
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    Prolog 28). Es ist ein eindrucksvolles Bild, das Benedikt dem Mönch vor Augen hält: Er soll seine bösen Gedanken aus sich herauswerfen und am Felsen Christus zerschmettern, so daß sie keine Macht mehr über ihn haben. Es ist ein Akt voller Kraft und Aggression, der den Mönch von seinem inneren Schmutz befreien soll.
    Für die frühen Mönche war das Jesusgebet ein Gebet der Reinigung. Sie haben das Jesusgebet bewußt in alle Bereiche der eigenen Psyche hineingebetet. Wenn ich in meine Wut, in meine Enttäuschung, in meine Bitterkeit, in mein inneres Chaos hineinspreche: »Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner«, dann läutert sich in mir etwas. Der Ärger verliert seine Macht über mich. Die Trübungen klären sich. Die inneren Verwicklungen lösen sich auf. Ich will mit dem Jesusgebet nicht meinen Ärger wegbeten. Ich nehme den Ärger und das
    „Gekränktsein“ an, ohne dagegen zu wüten. Ich will meine Emotionen nicht in den Griff bekommen. Ich halte sie Gott hin und spreche das Jesusgebet in die Affekte hinein, ohne inneren Druck, daß sie sich wandeln müssen. Ich gehe liebevoll mit den Affekten um. Im Jesusgebet lasse ich die barmherzige Liebe Jesu in die inneren Trübungen fließen und verbinde damit mein eigenes Wohlwollen, meine eigene Milde und Barmherzigkeit.
    Dann erlebe ich oft, daß sich die Gefühle nach einer halben Stunde wandeln. Auf einmal spüre ich keinen Groll mehr in mir.
    Ich erlebe einen tiefen inneren Frieden. Es hat sich etwas in mir geklärt. Ich bin mit mir in Berührung. Der andere hat mit seiner Verletzung keine Macht mehr über mich. Ich lasse ihn sein, wie er ist, ohne noch grollend an ihn zu denken.
    Manchmal erlebe ich bei der morgendlichen Meditation vo r der Christusikone, wie da trübe Gedanken aufsteigen. Auf einmal fällt mir ein, wie unfair ein Mitbruder mit mir umgegangen ist und wie negativ er über mich geredet hat. Und schon verwickle ich mich in innere Selbstgespräche, in denen ich meine ganze Intelligenz aufwende, um den anderen in seiner
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    Borniertheit bloßzustellen. Mir fallen dann alle möglichen psychologischen Muster ein, die ich dem anderen nachweisen könnte. Doch wenn ich dann auf Christus schaue, spüre ich, daß ich nicht einfach fortfahren kann mit meinen destruktiven Selbstgesprächen. Für mich ist dann das Bild Jesu, der am Kreuz hängt und trotz des zerstörerischen Hasses seiner Feinde nicht bitter geworden ist, eine Herausforderung, mein Inneres zu klären. Ich merke, wie ich mir selbst schade, wenn ich diesen trüben Gedanken nachhänge. Ich halte sie Christus hin und bitte ihn, daß sein Geist und seine Liebe in mich einströmen und alles Bittere und Rachsüchtige aus mir vertreiben. Und ich spüre meine Verantwortung, in diesen Tag mit einem geläuterten Herzen zu gehen und nicht mit der Mördergrube, die sich in meinem Herzen breitmachen möchte.
    Für uns Mönche ist das tägliche Chorgebet ein reinigendes Ritual. Viermal am Tag versammeln wir uns zum Beten und Singen der Psalmen. In den Psalmen drücken wir unsere Emotionen aus. Die Psalmen sind nicht nur fromm. Sie bringen alle Emotionen zur Sprache, Liebe und Haß, Angst und Vertrauen, Sorgen und Zweifel, Sehnsucht und Verlassenheit, Schmerzen und Freuden. Indem wir

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