Damit Dein Leben Freiheit Atmet
unsere Gefühle aussingen, klären sie sich. Die Verwicklungen unserer eigenen Emotionen mit den Stimmungen, die von außen auf uns einströmen, hören auf. Die innere Gefühlslandschaft hellt sich auf, das Unbewußte lockert sich. Es hat uns nicht mehr im Griff. Auch wenn ich nicht besonders andächtig eine halbe Stunde lang die Vesper gesungen habe, fühle ich mich nachher doch irgendwie aufgeräumt. Ich trage nicht mehr den unklaren emotionalen Ballast mit mir herum. Es ist klarer geworden in meinem Innern.
Ein Besucher meinte einmal, beim Singen der Psalmen fühle er sich wie am Strand. Die Wellen kommen und gehen und zurück bleibt ein gereinigter Strand. So reinigt das Psalmensingen seine Seele.
Schon allein die Struktur des Tages, der mich viermal einlädt,
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meine Arbeit zu unterbrechen, wirkt reinigend auf mich. Ich erlebe immer wieder, wie ich mich tagsüber von Konflikten emotional aufladen lasse. Da kommt ein Mitbruder und beschwert sich, daß etwas nicht gut organisiert ist. Der andere erzählt, daß eine Firma ihre Waren nicht oder falsch geliefert hat. Der Baumeister berichtet von Fehlern, die am Bau passiert sind. Wenn da zuviel auf mich einströmt, dann staut sich in mir Ärger auf. Und wenn ich diesem Ärger Raum lasse, reagiere ich auf jeden Telefonanruf gereizt. Und es wächst in mir das Gefühl, daß mein ganzes Bemühen umsonst ist. Auf einmal sehe ich alles schwarz. Ich fühle mich gelähmt. Ich könnte versuchen, die Verwicklungen dieser Emotionen zu erklären: meinen inneren Widerstand gegen das tägliche Feuerwehrspielen, meinen Unwillen, mir immer nur das Negative anhören zu müssen. Mein Widerstand und mein Unwillen gegen ständige Konflikte laden sich auf mit den Emotionen, die mir die Mitbrüder und Mitarbeiter entgegenbringen. Und schon entsteht ein Emotionsbrei, den ich nur schwer klären kann. Und während der Arbeit im Büro komme ich gar nicht dazu, die inneren Zusammenhänge meiner Emotionen zu erkennen und wieder aufzulösen. Doch wenn ich in die Mittagshore gehe, erlebe ich sie wie eine heilsame Unterbrechung. Ich lasse mich auf die Psalmen ein, höre die Lesung und gehe schweigend zum Mittagessen. Und auf einmal merke ich, wie sich in mir etwas gelöst und geklärt hat. Die innere Verunreinigung, die im Laufe des Vormittags entstand, ist durch die Mittagshore weggewischt worden.
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Schweigen
Ein weiterer zentraler Weg der Reinigung war seit jeher das Schweigen. Im Schweigen begegne ich mir selbst. Da tauchen die dunklen Stellen der Seele auf. Das Schweigen kann das Unklare klären. Das Sprechen wühlt die Emotionen auf. Wenn ich schweige, kann sich der Schmutz setzen. Die Mönche vergleichen die Klärung der Trübungen mit dem Wein. Der Wein muß still stehen bleiben, damit sich das Trübe setzt. Wenn der Mönch still bleibt und schweigt, kann sich auch in ihm setzen, was ihn tagsüber oft genug aufwühlt. Im Schweigen begegne ich mir selbst. Da erkenne ich, welche Trübungen mich seit Kindheit an beeinträchtigen. Wenn ich diese Trübungen in die Klarheit Gottes halte, können sie sich auflösen. Das Schweigen reinigt nicht automatisch. Wer seinen inneren Zorn in sich ve rschließt, bei dem kann das Schweigen den Zorn sogar noch verstärken. Nur wenn ich den Zorn wahrnehme und versuche, ihn im Schweigen loszulassen, kann er sich auflösen.
Normalerweise klären sich die Emotionen, wenn sie
ausgesprochen und bearbeitet werden. Im Schweigen klären sie sich, obwohl oder vielleicht gerade weil ich sie nicht äußere. Die Mönchsväter glaubten, daß sich Emotionen verstärken, sobald sie ausgesprochen werden. Manche Emotionen muß man durch Schweigen klären. Ein Altvater vergleicht es mit dem Ungeziefer, das in einem Glas eingeschlossen ist. Sobald der Deckel sich öffnet und Sauerstoff einströmt, regt es sich. Wenn der Deckel des Glases lange genug verschlossen bleibt, stirbt das Ungeziefer. Solange ich schweige, kann sich nicht aller Schmutz, den ich aus meiner Umgebung aufsammle, an meine Emotionen hängen. Schweigen führt dazu, daß ich Abstand bekomme zu meinen Emotionen. Aus diesem Abstand heraus kann ich dann meine eigenen Gefühle trennen von allem, was
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sich mit ihnen verbunden hat. Im Schweigen stirbt das Ungeziefer in meiner Seele ab. Es bekommt keinen Sauerstoff mehr.
Aber das Schweigen will geübt sein. Die Mönche
unterscheiden ein inneres und äußeres Schweigen. Es gibt Menschen, die zwar äußerlich schweigen. Innerlich aber reden
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