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Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Titel: Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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gekommen ist, werden wir uns auch beruhigt verabschieden können.«

Henrys Leben

    H enry Covington tat in jener Nacht kein Auge zu.
    Er wurde aber auch nicht getötet.
    Die Drogendealer, die er ausgeraubt hatte, fanden ihn nicht. Aus keinem der Autos, die in jener Nacht in Henrys Straße einbogen, wurde geschossen. Henry hockte hinter den Mülleimern, umklammerte seine Waffe und wiederholte seine Frage immer wieder aufs Neue.
    » Wirst du mich retten, Jesus?«
    Wie viele andere Menschen wandte sich Henry leider erst dann Gott zu, als alles andere aussichtslos war. Und er bat Gott nicht zum ersten Mal um Hilfe, als es schlimm um ihn stand. Doch sobald die unmittelbare Gefahr gebannt gewesen war, hatte er sich jedes Mal wieder auf die falsche Seite geschlagen.
    Als an diesem Tag aber die Sonne aufging, schob Henry Covington die Waffe unter sein Bett und legte sich zu seiner Frau und seinem Kind.
    Es war Ostersonntag.
    Henry sann über sein Leben nach. Er hatte gestohlen und gelogen und Menschen mit einer Waffe bedroht. Er hatte sein gesamtes Geld für Drogen verpulvert. Einmal hatte er noch einen kleinen Klumpen Crack gehabt, aber nichts mehr zum Rauchen, und hatte so lange die Straße abgesucht, bis er einen Zigarettenstummel fand. Vielleicht war schon jemand darauf getreten, oder ein Hund hatte daraufgepinkelt. Das war Henry einerlei. Er steckte ihn dennoch zwischen die Lippen – er konnte einfach nicht anders.
    Doch an diesem Morgen, an diesem Ostersonntag, brauchte er plötzlich etwas anderes. Er konnte es selbst nicht erklären, und auch seine Frau verstand ihn nicht. Ein Bekannter kam mit Heroin vorbei. Henrys Körper verlangte heftig danach. Aber er wusste, dass die Droge ihn töten würde, wenn er sie annahm. Dessen war er sich sicher. In der Dunkelheit, hinter diesen Mülleimern hatte er Gott sein Leben versprochen. Und nun, nur wenige Stunden später, musste er bereits die erste Prüfung bestehen.
    Er schickte den Mann weg.
    Dann ging er ins Badezimmer, fiel auf die Knie und sprach ein Gebet. Danach schluckte er eine Flasche Grippepillen.
    Am nächsten Tag machte er es genauso.
    Und auch am darauffolgenden.
    Auf diese Art wollte er im Alleingang einen kalten Entzug machen.
    Erst nach drei Tagen konnte er wieder einen Bissen essen. Nach weiteren drei Tagen konnte er zum ersten Mal wieder aufstehen.
    Nach noch drei Tagen schlug er die Augen wieder auf.

SEPTEMBER
Glück

    D er Rebbe schlug die Augen auf.
    Er lag im Krankenhaus.
    Das passierte nicht zum ersten Mal. Er bemühte sich zwar, seine Gebrechen vor mir zu verbergen, doch ich hatte erfahren, dass es ihm seit einigen Monaten schwerfiel, sich auf den Beinen zu halten. Er war auf dem Gehweg gestürzt und hatte sich die Stirn aufgeschlagen. Im Haus war er gestolpert und hatte sich am Hals und an der Wange verletzt. Diesmal war er hingefallen, als er vom Stuhl aufstand, und hatte sich die Rippen am Schreibtisch geprellt. Es handelte sich bei diesen Zuständen entweder um Synkopen – kurze Phasen der Bewusstlosigkeit – oder um kleinere Schlaganfälle. Danach war er jeweils schwindlig und orientierungslos.
    Beides bedeutete nichts Gutes.
    Nun rechnete ich mit dem Schlimmsten. Das Krankenhaus kann das Portal zum Ende sein. Ich hatte Sarah angerufen und gefragt, ob ich den Rebbe besuchen könne, und sie hatte eingewilligt.
    Ich versuchte mich innerlich zu wappnen gegen die Krankenhausatmosphäre. Der Geruch nach Desinfektionsmitteln, das leise Gemurmel von Fernsehern, die zugezogenen Vorhänge, das Stöhnen von irgendwoher deprimierten mich immer zutiefst. Ich hatte zu viele Menschen zu oft in Krankenhäusern besuchen müssen.
    Zum ersten Mal seit langer Zeit dachte ich an unsere Abmachung.
    Würden Sie meine Trauerrede halten ?
    Ich betrat das Zimmer, in dem Albert Lewis lag.
    »Ah«, sagte er lächelnd und hob den Kopf, »ein Besucher aus der Ferne …«
    Und ich hörte sofort auf, an die Trauerrede zu denken.
    Wir umarmten uns – oder genauer gesagt: Ich umarmte ihn , und er berührte meinen Kopf. Dann stellten wir fest, dass diese Form der Unterhaltung zwischen uns, im Krankenhaus, eine Premiere war. Der Morgenmantel des Rebbe fiel ein wenig auf, und ich sah faltige weiche Haut und ein paar silbrige Brusthaare. Ich wandte den Blick ab, weil mir das aus irgendeinem Grund peinlich war.
    Eine Krankenschwester kam hereinmarschiert.
    »Wie geht es Ihnen heute?«, fragte sie.
    »Es geht mihir«, trällerte der Rebbe. »Es geht mihir …«
    Die Schwester

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