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Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Titel: Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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begann er mit den Worten: »Gott, ich danke Dir, dass Du mir meine Seele wiedergegeben hast.«
    Wenn man den Tag so beginnt, ist der Rest ein Geschenk.
    Darf ich Sie etwas fragen?
    »Natürlich«, antwortete er.
    Was macht einen Menschen glücklich?
    »Tja«, er blickte im Zimmer umher, »das hier ist vielleicht nicht das ideale Ambiente für diese Art von Fragen.«
    Stimmt.
    »Andererseits …« Er holte tief Luft. »Andererseits müssen wir uns hier in diesem Gebäude den wirklich wichtigen Themen stellen. Einige Menschen, die hier sind, werden genesen. Andere nicht. Deshalb ist hier vielleicht auch der richtige Ort, um dieses Wort zu definieren.«
    Glück?
    »Richtig. Diese ganzen Sachen, von denen in unserer Gesellschaft behauptet wird, dass sie uns glücklich machen – ein neues Dieses oder Jenes, ein größeres Haus, ein besserer Job. Das alles ist hohler Schein. Ich habe viele Menschen beraten, die das alles besaßen und dennoch nicht glücklich waren.
    Die Ehepaare, die sich trennten, obwohl sie im Wohlstand lebten. Die Familien, in denen unentwegt gestritten wurde, obwohl sie alle gesund waren und genügend Geld hatten. Reichtum hält einen nicht davon ab, immer noch mehr zu wollen. Und wenn man ständig mehr will – nämlich reicher, schöner oder berühmter sein –, entgehen einem die wirklich wichtigen Dinge. Und ich kann Ihnen aus Erfahrung sagen, dass sich das Glück dann nicht einfinden wird.«
    Sie wollen mir jetzt aber nicht erzählen, dass ich stehenbleiben und an Rosen schnüffeln soll, oder?
    Er gluckste. »Dazu riecht es hier nicht gut genug.«
    Ich hörte draußen auf dem Flur ein Kind schreien, und jemand machte »Schsch« – vermutlich die Mutter. Der Rebbe hatte es auch gehört.
    »Das erinnert mich an etwas, was unsere Weisen lehren«, sagte er. »Kinder kommen mit geballten Fäusten auf die Welt, nicht wahr? So?«
    Er machte eine Faust.
    »Warum? Weil ein Baby, das noch nichts anderes gelernt hat, alles festhalten will, damit die ganze Welt ihm gehört.
    Doch wie stirbt ein alter Mensch? Mit offenen Händen. Und warum? Weil er seine Lektion gelernt hat.«
    Welche Lektion denn?, fragte ich.
    Er öffnete die Hand.
    »Dass wir nichts mitnehmen können.«
    Einen Moment lang starrten wir beide auf seine Hand. Sie zitterte.
    »Ach, sehen Sie das?«
    Ja.
    »Dieses Zittern will einfach nicht mehr aufhören.«
    Er ließ die Hand auf seine Brust sinken.
    Ich hörte, wie draußen ein Wagen den Flur entlanggeschoben wurde. Der Rebbe hatte so weise und so leidenschaftlich gesprochen, dass ich einen Moment lang ganz vergessen hatte, wo ich war.
    »Jedenfalls«, sagte er, verstummte dann jedoch.
    Es quälte mich, ihn in diesem Bett zu sehen. Ich wollte ihn wieder zuhause erleben, in seinem ulkigen Outfit an seinem chaotischen Schreibtisch. Ich zwang mich zu lächeln.
    Und, ist das Geheimnis des Glücks jemals gelöst worden?
    »Ich glaube schon«, antwortete er.
    Werden Sie’s mir verraten?
    »Ja. Bereit?«
    Bereit.
    »Seien Sie zufrieden.«
    Was, das ist schon alles?
    »Seien Sie dankbar.«
    Nicht mehr?
    »Dankbar für alles, was Sie haben. Für die Liebe, die Ihnen zuteilwird. Und für alles, das Gott Ihnen geschenkt hat.«
    Das ist wirklich das ganze Geheimnis?
    Er sah mich eindringlich an. Dann seufzte er tief.
    »Das ist das ganze Geheimnis.«

Das Ende des Sommers

    S päter an diesem Tag bekam ich einen Anruf von Albert Lewis’ jüngster Tochter Gilah. Sie war etwa in meinem Alter; wir kannten uns noch aus der Schulzeit und hatten lose Kontakt gehalten. Sie war eine witzige, warmherzige und eigenwillige Frau, und sie liebte ihren Vater sehr.
    »Hat er es dir gesagt?«, fragte sie mich.
    Was?
    »Er hat einen Tumor.«
    Was?
    »In der Lunge.«
    Krebs?
    »Hat er nichts davon erzählt?«
    Ich starrte auf den Hörer.
    Der Rebbe hatte kein Wort darüber verloren.

HERBST
    WINTER
    FRÜHJAHR
    SOMMER

Kirche

    A n der Trumbull Avenue in Downtown Detroit, gegenüber einem unbebauten Grundstück, ragt eine gewaltige gotische Kirche aus Ziegeln und Kalkstein auf. Mit ihren spitzen Türmchen, Bogen und Buntglasfenstern scheint sie aus einem anderen Jahrhundert zu stammen. In einem der Fenster sieht man den Apostel Paulus, als er fragt: »Was muss ich tun, um erlöst zu werden?«
    Die Kirche wurde tatsächlich im Jahre 1881 erbaut, als in dieser Gegend reiche Presbyterianer in vornehmen Villen wohnten. Die Kirchengemeinde umfasste damals 1200 Mitglieder und war damit die größte im Mittelwesten. Die Villen

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