Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches
dabei, den Alberts Mutter gebacken hatte.
Im Haus des Anwalts kam ihnen einer von Alberts gleichaltrigen Cousins entgegengelaufen. Er begann zu lachen, als er die beiden sah. »Al, du hast ja meinen alten Anzug an!«, kreischte er. »Hey, Leute, schaut mal! Al trägt meinen alten Anzug!«
Albert schämte sich in Grund und Boden. Während des gesamten Besuchs saß er schweigend und mit rotem Kopf da, und auf der Heimfahrt kämpfte er mit den Tränen und sah seinen Vater aufgebracht an, der den Kuchen gegen einen Koffer voller Kleider eingetauscht hatte. Albert hatte nun verstanden, dass reiche Verwandte ärmeren etwas spendeten.
Als sie zuhause ankamen, konnte er nicht länger an sich halten. »Ich verstehe das nicht«, platzte er heraus. »Du bist ein frommer Mann, aber dein Cousin nicht. Du betest jeden Tag, er aber nicht. Die haben alles, was sie wollen, und wir haben nichts!«
Sein Vater nickte und antwortete dann in leichtem Singsang auf Jiddisch:
Gottes Entscheidungen sind richtig.
Gott straft niemanden grundlos.
Gott weiß, was Er tut.
Mehr Worte wurden über diesen Vorfall nicht verloren.
Und Albert Lewis maß den Wert eines Lebens nie mehr an materiellen Gütern.
Sechsundsiebzig Jahre später bedeutete ihm Besitz noch immer so wenig, dass es schon beinahe komisch war. Seine Kleidung sah aus wie vom Wühltisch. Er trug karierte Hemden und grelle Socken zu Hosen von Haband, einer Billigmarke, die unter anderem Polyesterjeans und Westen mit vielen Taschen herstellt. Der Rebbe liebte diese Westen – je mehr Taschen, in denen er Notizzettel, Kugelschreiber, kleine Taschenlampen, Geldscheine, Zeitungsausschnitte und Bleistifte unterbringen konnte, desto besser.
Überhaupt benahm er sich wie ein Kind, wenn es darum ging, etwas zu kaufen: Der Preis war ihm einerlei, Hauptsache, die Sachen machten ihm Freude. Seine Vorstellung von High Tech bestand aus einem Radiowecker, auf dem er klassische Musik hören konnte. Schicke Restaurants? Grahamcracker und Erdnussbutterkekse waren für ihn Leckereien, und ein tolles Essen bestand für ihn darin, Cerealien und eine Tasse Rosinen in seinen Haferbrei zu rühren. Er kaufte leidenschaftlich gern im Supermarkt ein, aber nur Sonderangebote – eine Gewohnheit, die noch aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise stammte. Er konnte stundenlang mit seinem Wagen durch die Gänge wandern und seine Einkäufe penibel auswählen. An der Kasse wartete er dann mit irgendwelchen Gutscheinen auf, scherzte mit den Kassiererinnen und rechnete ihnen stolz vor, wie viel er eingespart hatte.
Jahrelang hatte seine Frau seinen Gehaltsscheck abholen müssen, weil er sich nicht darum kümmerte. Als er bei seiner Gemeinde anfing, verdiente er nur ein paar tausend Dollar im Jahr, und auch nach fünf Jahrzehnten Einsatz hatte er ein beschämend geringes Einkommen. Doch er hatte nie mehr Geld verlangt, weil er das als ungebührlich empfand. In den ersten Jahren hatte er nicht einmal ein Auto besessen; ein Nachbar namens Eddie Adelman hatte ihn nach Philadelphia gefahren und an einer U-Bahnstation abgesetzt, wenn er am Dropsie College ein Seminar besuchen wollte.
Es kam mir vor, als verkörpere der Rebbe eine Unvereinbarkeit von Glauben und Reichtum. Wenn Mitglieder der Gemeinde ihm etwas zukommen lassen wollten, schlug er vor, dass sie es stattdessen für wohltätige Zwecke spenden sollten. Er verabscheute es, selbst Spendensammlungen zu machen, weil er fand, ein Geistlicher solle niemals um Geld bitten. In einer Predigt sagte er einmal, dass er sich nur ein einziges Mal in seinem Leben gewünscht habe, Millionär zu sein – als er nämlich daran dachte, wie viele Familien er auf diesem Wege von ihren Geldsorgen erlösen könne.
Was er hingegen sehr gerne mochte, waren alte Dinge. Alte Münzen. Alte Gemälde. Sogar sein Gebetbuch war alt und zerfleddert, vollgestopft mit Zeitungsausschnitten und nur noch von Gummibändern zusammengehalten.
»Ich habe alles, was ich brauche«, sagte er mit einem Blick auf seine chaotischen Bücherregale. »Warum sollte ich nach mehr verlangen?«
Sie sind die Umsetzung des Bibelspruchs: Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?, sagte ich.
»Das sind Jesu Worte«, erwiderte der Rebbe.
Oh, Verzeihung, sagte ich.
»Sie müssen sich nicht entschuldigen«, sagte der Rebbe lächelnd. »Es ist ja eine treffende Aussage.«
Kirche
D raußen rauschte der Verkehr vorbei, während ich mit Pastor Henry
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