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Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Titel: Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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Sonne aufging, traf sie dort ein, und wenn die Besuchszeit begann, hielten sie und Henry sich an den Händen und redeten oder spielten Karten, bis die Zeit vorüber war. Es gab trotz der mühsamen Anreise kaum ein Wochenende, an dem Annette Henry nicht besuchte, und so trug sie dazu bei, dass er nicht verzweifelte, denn er konnte sich immer auf ihren Besuch freuen. Henrys Mutter schickte ihm damals einen Brief, in dem sie schrieb, wenn er nicht mit Annette zusammenblieb, würde er vielleicht eine andere Frau finden, niemals aber »seine« Frau.
    Als Henry entlassen wurde, heirateten die beiden ganz schlicht in der Mt. Moriah Church. Er war damals groß, schlank und attraktiv, sie trug eine Ponyfrisur und lächelte strahlend auf den Hochzeitsfotos. Es gab einen Empfang in einem Nachtclub namens Sagittarius. Das Wochenende verbrachten die beiden in einem Hotel im Textildistrikt. Am Montagmorgen ging Annette wieder zur Arbeit.
    Sie war damals zweiundzwanzig, Henry dreiundzwanzig Jahre alt. Im Laufe des nächsten Jahres würden sie erst ein Kind und dann eine Anstellung verlieren. Und im Winter ging die Heizung in ihrer Wohnung kaputt, so dass Eiszapfen von der Decke hingen.
    Doch die wahren Probleme lagen noch vor ihnen.
    Der Rebbe hatte gesagt, dass eine gute Ehe Widrigkeiten übersteht, und das galt auch für Henry und Annette. Bald bestanden diese »Widrigkeiten« jedoch aus Drogensucht, Verbrechen und der Angst, von der Polizei geschnappt zu werden. Nicht gerade Anatevka . Annette und Henry waren beide drogensüchtig gewesen, sie hatte ihre Sucht aber nach Henrys Haftstrafe überwunden. Doch als ihr Baby starb, die Heizung kaputtging und Annette ihren Job verlor – und der mittellose Henry sah, wie sein Bruder mit Drogenhandel zu fetten Geldbündeln kam –, verfielen sie wieder in ihren alten Lebensstil, und zwar auf ganzer Linie. Henry verdealte Drogen auf Partys und von zuhause aus. Bald hatte er so viele Kunden, dass er sie an der Ecke warten ließ und sie nacheinander zu sich ins Haus bestellte. Annette und er konsumierten Unmengen von Drogen und Alkohol und lebten in ständiger Angst vor der Polizei und rivalisierenden Drogenbossen. Eines Abends wurde Henry von einigen Dealern aus Manhattan abgeholt; er ging davon aus, dass er diese Fahrt nicht überleben würde. Annette wartete zuhause mit der Pistole in der Hand, für den Fall, dass er nicht zurückkommen würde.
    Doch als Henry endlich ein Einsehen hatte – in jener Nacht, in der er hinter den Mülltonnen hockte –, tat Annette es ihm gleich.
    »Was hält dich davon ab, dein Leben Gott zu widmen?«, fragte Henry sie am Ostermorgen.
    »Du«, sagte sie ehrlich.
    In der darauffolgenden Woche schafften Annette und Henry sämtliche Waffen und Drogen aus dem Haus und warfen alles weg, was dazugehörte. Sie gingen zur Kirche und lasen jeden Abend in der Bibel. Wenn es ihnen schlecht ging, halfen sie sich gegenseitig.
    Eines Morgens, einige Monate nach ihrem gemeinsamen Entzug, klopfte es an der Tür. Es war noch früh. Ein Mann rief, er wolle Stoff kaufen.
    Henry blieb im Bett liegen und schrie, der Mann solle verschwinden, er habe nichts mehr. Doch der Typ war hartnäckig. Henry schrie: »Hier gibt’s nichts mehr!«, aber der Typ ließ nicht locker. Schließlich stand Henry auf, wickelte ein Laken um sich und ging zur Tür.
    »Ich hab doch gesagt …«
    »Hände hoch!«, brüllte jemand.
    Vor ihm standen fünf Polizisten, die Waffen im Anschlag.
    »Treten Sie beiseite«, sagte einer.
    Sie stürmten ins Haus und befahlen Annette, sich nicht zu rühren. Wenn es belastendes Material gäbe, sollten sie es lieber gleich sagen, verlangten die Polizisten. Dann durchsuchten sie das Haus von oben bis unten. Henry wusste, dass er alles weggeschafft hatte, aber das Herz schlug ihm dennoch bis zum Hals. Hatte er irgendetwas vergessen? Er sah sich um. Nichts. Nichts.
    Doch dann …
    Plötzlich stockte ihm der Atem. Auf einem Beistelltisch lagen zwei rote Notizbücher. Eines enthielt Bibelzitate aus den Sprüchen Salomos, die er jeden Abend aufschrieb. Das andere war älter. Darin waren Namen, Orte und Geldbeträge von zig Drogendeals vermerkt.
    Er hatte das alte Notizbuch hervorgekramt, um es zu vernichten. Nun konnte es ihn vernichten. Einer der Polizisten kam angeschlendert, griff nach dem obersten Notizbuch und schlug es auf. Henrys Herz hämmerte, und er bekam weiche Knie. Der Polizist las in dem Notizbuch. Dann ließ er es auf den Tisch fallen und ging weiter.
    Die

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